Reise in die Bretagne
Tag 1: Kiel - Lörrach
Tag 2: Lörrach - Langres
Tag 3: Langres - Gien
Tag 4: Gien - Saumur
Tag 5: Saumur - Pontorson
Tag 6: Mont Saint Michel
Tag 7: Cancale - Trébeurden
Tag 8: Lannion - Brest - Chateaulin
Tag 9: Chateaulin - Concarneau
Tag 10: Pont Aven - Südbretagne
Tag 11: Salzgärten von Guérande
Tag 12: Saint-Nazaire - Surgères
Tag 13: Cognac - Jumilhac-le-Grand
Tag 14: Jumilhac-le-Grand
Tag 15: Jumilhac-le-Grand - Murol
Tag 16: Château de Murol
Tag 17: Murol - Camp Le Gouffre
Tag 18: Vercors - Chartreuse
Tag 19: St.Claude - Camp Cibourg
Tag 20/21: Cibourg - Lörrach - Kiel
Platzhalter Motorradreise Bretagne
Platzhalter Motorradtour Bretagne
Platzhalter Schild mit Austernzucht
Platzhalter Le fort du gluesclin
Platzhalter Kassenbon
Platzhalter Kassenbon
Platzhalter


Couleurs de Bretagne

Bevor ich starte, besorge ich mir Kaffee und Gebäck. Der Monsieur de la Camping drückt mir das Croissant einfach in die Hand. Auch der Schlachter im Super-U greift voll ins pralle Leben, wenn er mit seinen großen Händen ein halbes Dutzend Bratwürste aus der Wanne greift. Keine Zange, keine Gabel, keine Handschuhe. Sie haben ein entspanntes Verhältnis zum Essen, die Franzosen.

Sack voller Baguettes

Das Croissant ist prima, aber der Kaffee, wie so oft, eine Katastrophe: Nicht der Geschmack, sondern die Menge. So wird bei uns Absinth ausgeschenkt. Inzwischen verfolge ich eine Theorie, wonach die französische Tourismusindustrie etwa 70% ihres Umsatzes allein durch den Verkauf von Kaffee erwirtschaftet. Der Rest sind Trinkgelder.

Nachdem ich meine Feststellungen und Theorien über die Franzosen im Allgemeinen und die französische Volkswirtschaft im Besonderen niedergeschrieben habe, starte ich in allerbester Stimmung in einen sonnigen Urlaubstag in der Bretagne.

Zwei Stunden später, so gegen 10:30 Uhr, habe ich: Platzhalter     • bereits 8 Fotostopps eingelegt,
    • mein erstes halbes Dutzend roher Austern gegessen,
    • erst 29 km zurückgelegt,
    • meine Begeisterung für die Farben der Bretagne entdeckt.

Aber von Anfang an: Ich habe gerade erst in den sechsten Gang geschaltet, als ich nach wenigen Kilometern eine Wiese voller Mohnblumen erblicke, die leuchtend rot unter einem kornblumenblauen Himmel blühen, im Hintergrund eine alte Windmühle.

"Postkartenalarm!", denke ich, stelle das Motorrad ab und mache die Kamera scharf.

Windmühle auf Mohnfeld

Überhaupt scheint der Kollege Dupin nicht übertrieben zu haben, die Bretagne, das sind vor allem auch ihre Farben, das Himmelsblau, der gelbe Ginster, das pastellfarbene Meer, grün, blau, türkis und ab und zu etwas Rot.

Die Farbenpracht ist ganz ungewöhnlich und doch habe ich so etwas schon einmal gesehen und erlebt: In Schottland! Wie verblüfft war ich, soweit im Norden im rauhen Schottland diese karibischen Farben zu sehen. Anderes Land, selbes Meer.

Meer in der Bretagne

Ich fahre weiter nach Cancale, die heimliche Austernhauptstadt der Bretagne. In vielen der feinsten Restaurants von Paris werden ausschließlich Austern aus Cancale serviert.

Auf dem letzten Stück entlang der Küste duftet es in meinem Helm aus heiterem Himmel intensiv nach Bratkartoffeln. Ein köstlicher Duft. Wo kommt der her, ich hab mir doch die Zähne geputzt?

Dann entdecke ich die Ursache: Es sind die Zwiebelfelder links und rechts der Straße. Die Pflanzen reifen in der Sonne und verbreiten einen betörenden Duft von Bratkartoffeln mit Speck, jedenfalls ist es das, woran ich denke.

Cancale Bretagne

Kurz vor dem eigentlichen Ort reihen sich die Hallen und die Becken der Austernzüchter aneinander. Hier liegt das Zentrum der Austernzucht der nördlichen Bretagne.

Ich parke das Motorrad in Cancale am Hafen und gehe auf Besichtigungstour. Es ist Ebbe und das türkise Wasser hat sich zurückgezogen. Ein Segelboot liegt trocken im Sand. Der Tidenhub beträgt hier gigantische 14 Meter und nicht immer liegt das Meer so ruhig in der Sonne wie heute. Hohe Mauern sollen den Ort schützen, wenn im Herbst die tobende See gegen die Küste anrennt.

Neugierig schlendere ich auf der Kaimauer entlang. Es gibt viel zu sehen, das Meer lässt die interessantesten Dinge zurück. Überall liegen die weißen Sepiaschalen herum, der Rücken­knochen des zehnarmigen Tintenfischs, die man sonst nur aus Käfigen von Wellen­sittichen kennt.

Cancale Bretagne

Am Ende des Kais ist ein kleiner Austernmarkt aufgebaut. Blauweiße Zeltplanen leuchten in der Sonne. An jedem der Stände wird dasselbe und doch etwas anderes angeboten, denn Austern gibt es von verschiedenen Züchtern in unterschiedlichen Sorten, Größen und Farben. Auch die Preise sind nicht gleich. Das Dutzend Austern kostet je nach Sorte und Herkunft etwa 4 bis 6 Euro. Für die Einkäufer der Hotels und Restaurants stehen Körbe mit größeren Mengen fertig abgepackt bereit.

Austernmarkt in Cancale, Bretange

Vermutlich gehöre ich zu den letzten acht Personen auf diesem Planeten, die noch niemals Austern gegessen haben. Es hat sich irgendwie nie ergeben.

Gleich werden es nur noch sieben sein: "Je ne parle pas français", spreche ich die alte Dame am ersten Stand an und zum ersten Mal kommt mein entschuldigender Standardsatz, wonach ich kein Französisch spreche, nicht gut an. Unter buschigen Augenbrauen sieht sie mich unfreundlich an und knurrt merklich angewidert: "Anglais", Engländer. Mit einem nahezu unmerklichen Nicken ihres Kopfes deutet sie auf einen Stand, an dem eine hübsche, junge Frau auf Kundschaft wartet. Sie trägt eine leuchtend pinke Fleecejacke und passt so gar nicht zu den anderen Frauen.

Die junge Frau ist deutlich zugänglicher. Sie spricht tatsächlich Englisch und außerdem mag ich ihre Perlenohrringe.

"I have never eaten oysters before and would like to try."
"Minimum is six."
"That's ok, no problem."

Sie streift einen dünnen Kettenhandschuh über, nimmt ein Messer mit kurzer robuster Klinge und öffnet im Nu alle sechs Austern, ohne dass ich überhaupt erkennen kann, wie es geht. Die Muscheln legt sie auf einen Plastikteller mit 12 Fächern, nimmt eine Zitrone, halbiert sie und legt eine Hälfte in das Fach in der Mitte des Tellers. Dazu überreicht sie mir eine winzige Gabel, kleiner als die vornehmste Kuchenzinke im Café Sacher.

Frau schneidet Austern auf

"You grab it with this, then you chew. The Shells you throw down there", und zeigt auf das Hafenbecken gute 6 Meter unter uns. "The plate you bring back to me."

Den Teller mit meiner Beute trage ich zu einer Bank, die etwas abseits steht. Dieses Erlebnis will ich ganz in Ruhe genießen. Behutsam klappe ich die erste Muschel auf. Ihre Schale ist krustig dick mit Spuren von Seepocken. Innen aber ist sie ganz klar und glatt, reines Perlmutt und schön anzusehen. In der Schale liegt ein hellgrauer nur wenige Millimeter dicker Kranz aus Muskelfleisch.

Halbes Dutzend Austern mit Zitrone

Austern werden lebend gegessen, weil tote Austern giftig sind, wenn man sie roh isst. Lebende Austern erkennt man an der fest geschlossenen Schale und daran, dass sich ihr Fleisch beim Beträufeln mit Zitrone oder Berührung mit dem Messer leicht zurückzieht.

Ich schabe das Fleisch mit der winzigen Gabel vom Perlmutt herunter und stecke den ersten Bissen in den Mund. Meine erste Auster will ich ohne Zitrone probieren, damit ich richtig hinschmecken kann.

Der erste Eindruck ist ... salzig, nass, kalt. Nicht Fisch, nicht Fleisch, weder unangenehm, noch besonders lecker. Wenn ich im Meer geschwommen bin, habe ich denselben Geschmack im Mund. Bevor ich ein zweites Mal hinschmecken kann ist sie schon aufgegessen. Man müsste Dutzende essen, um davon satt zu werden.

Die nächste esse ich mit Zitrone, aber die Säure überdeckt alles, so dass man nur Zitrone und Salz schmeckt, wie ein Tequilla ohne Alkohol. Nach der sechsten Muschel weiß ich immer noch nicht, ob ich Austern nun mag oder nicht mag. Eher nicht, aber ich werde sie an einem anderen Tag noch einmal neu probieren, nur um sicher zu gehen.

Ich schleudere die leeren Austernschalen über die Kaimauer, wo sie klappernd zwischen den Felsen landen. Nur eine, die Schönste, die hebe ich auf, um sie Claudia mitzubringen. Sie hatte sich eine für ihre Vitrine gewünscht.

Le fort du gluesclin

Es ist nahezu unmöglich, auf der Küstenstraße der Bretagne in Fahrt zu kommen und eine relevante Strecke zurückzulegen, weil sich hinter jeder Kuppe, mit jedem Blick aufs Meer und in jeder Bucht eine neue Postkarte zeigt, die fotografiert werden will.

Ich bin fast froh über die Abwechslung, als ich in Plancoët an einem Hyper-U vorbeikomme und die Gelegenheit zum Einkaufen nutze. Hyper-U sind die größten Märkte der Kette, größer als Super-U und Intermarche, aber kleiner, als Mega-U. Oder war es umgekehrt?

Dieser Supermarkt ist ein wahrer Tempel des Konsums. Hier gibt es alles, was Pieps und ich gerne mögen und auch ein paar Sachen, die wir nicht leiden können. Sicherheits­halber mache ich einen großen Bogen um die Abteilung Innereien, Nieren und blutige Pilze.

In der Fachabteilung für Rotweine erstehe ich eine 0,35 Liter Flasche Bordeaux, die perfekte Reisegröße. Genug, um abends im Zelt einen Genuss davon zu haben, aber nicht genug, um ernsthaft betrunken zu werden.

Gleich um die Ecke gibt es Fische und Meeresfrüchte. In großen Weidenkörben liegen Langusten, gruselige Seespinnen und finster dreinblickende Riesenkrebse.

Krebse und Seespinnen

Ob man die in der Pfanne braten kann? Ich habe keine Ahnung und ziehe weiter in vertrauteres Gebiet: Die Fleischabteilung.

Vier Dinge kann ich auf Französisch sagen, da bin ich wirklich textsicher: Ich kann einräumen, kein französisch zu sprechen, kann Kaffee und Croissant bestellen, kann behaupten, mein Motorrad habe einen Platten und ich kann Entrecôte bestellen. Das kann ich sogar richtig gut: "Une Entrecôte s'il vous plaît", strahle ich den Metzger an.

Fleischtresen beim Metzger

Er nimmt dieses großartige Stück Fleisch aus dem Tresen und setzt das Messer an. Im letzten Moment stoppe ich ihn mit meinem viel geübten "No, no, no, Monsieur!". Das ist viel zu dünn. Ich zeige mit Daumen und Zeigefinger und er schneidet eine korrekte Scheibe ab. Ein knappes Pfund auf der Waage, das ist in Ordnung.

Im Grunde kann ich damit sogar fünf Dinge sagen. Nicht viel für einen Simultandolmet­scher der UNO, aber ich komme damit gut über den Tag.

Brottheke im Supermarkt

Am Bäckertresen stapelt eine junge Frau mit einer kecken Mütze auf dem Kopf gerade frische Baguettes in die Auslage. Die Brote sind mit Käse und Chorizo gefüllt. So eines werde ich mir mit Pieps draußen am Motorrad teilen, bevor wir weiterfahren. Die Tüte mit dem Brot ist durchgefettet, bevor wir die Kasse erreichen und hinterlässt einen ansehnlichen Fettfleck auf dem schwarzen Laufband.

Softeis und Pieps

Mit fettigen Lippen und Händen ziehe ich Helm und Handschuhe über und fahre hinunter zur Hafenpromenade. Vor einem Laden steht eine Softeismaschine und ich bestelle eine Tüte mit Vanille und Kirsch. Ich mag das klebrig süße Zeug nicht, aber Pieps ist verrückt danach.

Strand in der Bretagne von oben

Auf dieser Reise habe ich meine Tagesetappen zu lang gewählt. Das geschieht, wenn ich meine Reisen im Winter plane und mir bei Kaffee und Keksen vorm Computer nicht vorstellen kann, wieviel Zeit das Reisen auf der Landstraße braucht und was es alles zu sehen gibt. Heute bin ich 246 Kilometer gefahren und habe bei weitem nicht alles besichtigt, bewundert, gegessen, bestaunt und fotografiert, was es unterwegs zu sehen gab. Von Saint Malo habe ich nur ein paar unglückliche Aufnahmen vom Lenker aus gemacht und die Ville Close habe ich gar nicht besichtigt. Vielleicht kann Claudia wenigstens das Grande Porte, das große Tor in der Stadtmauer zeichnen.

Als ich gegen 18 Uhr das Motorrad auf den Campingplatz Roz Ar Mor lenke und vor der Rezeption anhalte, steht dort ein alte Dame auf einen Stock gestützt und sieht mir entgegen, so als hätte sie mich erwartet. Es war ein langer Tag im Sattel und ich seufze tief, als ich den Motor abstelle und den Helm abnehme, wie ich das unbewusst manchmal tue, wenn die Entspannung einsetzt, oder Pieps etwas Tiefsinniges gesagt hat.

"Arivee", lacht die alte Dame verständnisvoll, strahlt mich aus jungen Augen fröhlich an und beginnt aus dem Stand eine angeregte Unterhaltung, ohne sich daran zu stören, dass ich kein Französisch verstehe. Ich feuere auf Deutsch und Englisch zurück und wir unterhalten uns bestens, ohne dass Eine nur ein Wort der Anderen versteht. Der perfekte Smalltalk.

Camping Roz ar Mor Bretagne

Sowie das Zelt steht und wir die gewohnte Platzrunde hinter uns haben, decke ich den Abend­brottisch. Das karierte Tischtuch trägt inzwischen unübersehbare Spuren von Ziegenkäse und Schokocookies, die Pieps vom Mont Saint Michel mitgebracht hat. Ich entkorke den Rotwein und lege das Entrecote in die heiße Pfanne.

Kommt es mir nur so vor, oder schmeckt im Urlaub alles besser? Wenn ich abends den Rotwein in den kleinen Metallbecher gieße und das saftige Steak vom Teller auf meinem Tankrucksack esse, dann ist es für mich das beste, edelste und leckerste Abendessen, das ich mir wünschen kann. Es geht mir gut und ich bin rundherum glücklich.

Picknick mit Entrecote vorm Zelt

Camping Roz Ar Mor liegt hoch oben auf der Steilküste und selbst hinter der Bratpfanne hat man noch einen ungestörten Blick auf die offene See. Überflüssig zu sagen, dass eine gewisse Maus den Namen des Camps anders versteht und allen damit den ganzen Abend über mächtig auf die Nerven fällt: "Rotz am Ohr, Rotz am Ohr", kräht es fröhlich über den Platz. Das Reisen mit Kindern hat so seine Seiten.

zum nächsten Tag...

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Svenja Svendura EndurowandernMade by Svenja Svendura on Apple iMac with Panic Coda and Photoshop Elements.