Inhaltsverzeichnis Dalarna 2024 Tag 1 Kiel - Oslo Tag 2 Oslo - Schweden Tag 3 Värmland - Dalarna Tag 4 Vansbro und ein Knytkalas Tag 5 Nås - Näs Bruk Tag 6 Avesta Tag 7 Tällberg am Siljansee Tag 8 Outback Dalarna
Am Siljansee
Nach dem Frühstück breche ich unser Lager ab und schnalle das Gepäck aufs Motorrad. Wir reisen weiter zum Siljansee. Der See ist eine der großen Landmarken Dalarnas, ein Wahrzeichen wie die Dalapferdchen.
Hinter Garpenberg geht es auf Gravel Roads viele Kilometer durch den Wald. Links und rechts liegen große Holzstapel bereit zur Abholung.
Ich halte kurz an und fotografiere einen der Zettel, die an den Stämmen kleben.
Sveaskog AB steht drauf.
Sveaskog AB ist Schwedens größter Waldbesitzer.
AB steht für Aktiebolag, Aktiengesellschaft.
Denen gehören 14% aller Wälder in Schweden, eine Zahl, die ich zuerst kaum glauben kann, aber Sveaskog gehört zu 100% dem schwedischen Staat und dann ergibt es Sinn.
Die "Firma" handelt nicht nur mit Holz, sondern ist auch im Tourismus aktiv und verkauft unter anderem auch Lizenzen zum Angeln und für die Jagd. Ich hänge den Fotoapparat wieder um und fahre weiter.
Als Stadtkind empfinde ich die Einsamkeit Dalarnas ganz besonders. Kiel ist nur eine kleine Großstadt, aber der Stadtverkehr und das ständige Gewusel der Menschen in der Stadt sind dennoch anstrengend.
Hier in Dalarna bekomme ich Lust anzuhalten, den Motor auszumachen und durchzuatmen, nur um für einen Moment die Abwesenheit des Rests der Menschheit zu genießen.
Für dies besondere Gefühl nehme ich die geringe Dichte sonstiger Attraktionen im Land gern in Kauf.
Endurowandern nach Herzens Lust! Ich muss mich nicht auf Single Trails durch Matsch und Unterholz kämpfen, das wäre ohnehin verboten, ich will bloß auf meiner Enduro durch die Landschaft schottern, ohne Asphalt und ohne Gesellschaft.
Genau diese Ungestörtheit und ein Camp am Ende des Trails finde ich in Schweden. Viel mehr brauche ich gar nicht.
Bei Husby komme ich an den Dalälven. Die Straße führt durch malerische Landschaften am Fluss entlang.
Ein Schild zeigt eine weiße Blume auf braunem Grund, ähnlich denen der Margeritenroute in Dänemark. Offenbar eine Scenic Route, eine Touristenstraße. Ich wusste nicht einmal, dass es die auch in Schweden gibt. Gibt es aber!
Drüben auf dem anderen Ufer steht ein prächtiges Landhaus in zartem Gelb mit weißen Fenstern. Es spiegelt sich malerisch im Dalälven, der hier ganz ruhig durch die Landschaft strömt. Wie schön das aussieht!
Es ist das frühere Krongut Husby Kungsgård.
Ich stoppe das Motorrad und mache ein Foto vom Sattel aus.
Claudia hat mir hundertmal geraten, abzusteigen und nicht nur aus dem Sattel zu fotografieren, eine interessantere Perspektive mit Vordergrund zu suchen, aber heute bin ich faul, lasse den Motor laufen und knipse ein Foto ohne abzusteigen.
Ein Stück weiter am Fluss entdecke ich einen Laden und halte an.
Es wäre undenkbar, nicht anzuhalten, nicht irgendwas zu kaufen, zu konsumieren oder wenigstens kurz „Hallo!" zu sagen. Man latscht auch nicht in der Wüste achtlos an der einzigen Karawanserei der Sahara vorbei mit einem: „Ach nöh, ich brauch eigentlich nix.“Handlar'n Smedby, der Kaufmann von Smedby ist ein Outpost in der Wildnis, eine Karawanserei inmitten der Wälder, ein Stützpunkt im Nichts, der mehr bietet als Butter, Milch und Käse.
Der Laden ist zugleich eine Post, eine Bank, ein Lottogeschäft, eine Apotheke und ein Pick-up Point vom System Bolaget, den schwedischen Schnapsläden. Man kann sich seinen Booze hierher liefern lassen, der Laden selbst hat keinen.
Drinnen erwartet mich ein halbdunkler, vollgestopfter Landhandel an der Grenze zum Messie-Tum.
Hier spielt Shop-Design keine Rolle, es geht schlicht darum, möglichst alles vorrätig zu haben, was irgendjemand wollen könnte, und nicht bloß Futter und Wasser für die Kamele.
Heißen Kaffee gibt es auch. Natürlich. An der Kasse steht eine Maschine unter Dampf: Kaffe 15 Kr. Das sind etwa 1,30 EUR. Ich muss kurz warten bis ich dran bin, denn vor mir lässt sich ein alter Herr die Rente auszahlen. Sorgfältig zählt der Kaufmann Schein um Schein, bis die Summe stimmt, steckt das kleine Bündel in einen Briefumschlag und verschließt ihn mit einem Klebestreifen.
Alter Herr: „Tack så mycket“, nimmt den Umschlag und geht ab.
Kaufmann: „Ingen orsak“, keine Ursache, und wendet sich mir zu.
Ich bestelle Kaffee und eine Zimtschnecke. Der Mann an der Kasse wirkt ein wenig mürrisch und ist nicht zum Plaudern aufgelegt, zumindest nicht auf Englisch, der einzigen Sprache, auf die wir uns beide einigen konnten. Ich verabschiede mich und nehme den Kaffee mit nach draußen.
Der nächste Ort ist Falun, mit 60.000 Einwohnern die größte Stadt Dalarnas und weithin bekannt durch seine Kupfergrube, aus deren Abraum das typische Falunrot Schwedens gewonnen wird.
Die stillgelegte Grube habe ich auf einer meiner früheren Reisen schon besichtigt. Es war die interessanteste Führung, die ich je mitgemacht habe, und ich kann nur jedem ans Herz legen, sich die nicht entgehen zu lassen.
Bevor wir aus Falun herausfahren, halte ich zum Einkaufen bei Stora Coop, dem großen Coop. Für Pieps besorge ich ein extra fettes Stück Käse, der an der Grenze zur Haltbarkeit und kurz davor ist, sein volles Aroma zu entfalten. Die Maus liebt das.
Unser Ziel ist Tällberg am Siljansee, eines der schwedischen Holzdörfer, wo noch viele falunrote Holzhäuser stehen. Selbst der Hauptbahnhof ist aus Holz und unterscheidet sich nicht nur darin vom Kieler Hauptbahnhof. STATIONSHUSET steht außen dran.
Das könnte auch der Bahnhof von Lummerland sein, ist es aber nicht.
Stattdessen ein ganz normaler handelsüblicher Bahnhof, an dem jeden Tag ein Dutzend Züge halten. Es gibt einen Fahrplan, Hinweisschilder, Mülleimer und sogar ein Gleis, auf dem eine Eisenbahn fahren kann.
Hier ist die Welt noch in Ordnung. Wenn ich das mit dem Bahnhofsvorplatz in Kiel vergleiche, der immer wieder in den Kieler Nachrichten auftaucht, weil dort etwas passiert ist, selten was Gutes, dann schneidet Kiel nicht gut ab. Hier hat sich Schweden einen Rest Bullerbü erhalten.
Tällberg Camping liegt am Ufer des Siljansees. Die Rezeption ist vergittert, aber auf einem Zettel steht eine Handynummer, die man anrufen kann.
Es klingelt
„Hello...?!“ „Hello. I am down by the campsite and would like to put up a tent.“ „Ok. Just find yourself a place and come back for check-in later.“ „Tack så mycket“, sage ich in meiner besten Schwedisch-Imitation und lege auf.
Das war einfach, denke ich verwundert und erinnere mich an deutsche Camps, wo es in bester „Draußen gibts nur Kännchen" Tradition verboten ist, den Platz auch nur zu betreten, geschweige denn einen Hering in deutsche Erde zu drücken, ohne zuvor angemeldet, eingecheckt und vor allem bezahlt zu haben: „Wo kämen wir da hin?“
Die Stellplätze auf Tällberg Camping sind klasse! Weicher Boden, bestes Grün und jeder Platz mit eigenem Picknicktisch und Blick auf den See.
Pünktlich um 18 Uhr stehe ich in der Schlange vor der Rezeption. Als ich dran bin, begrüßt mich ein älterer Herr mit Vollbart. Er lächelt mich an und dabei entstehen kleine Fältchen um seine freundlichen Augen. Während er schreibt, sehe ich, dass die Kühlschränke im Kiosk offen stehen und leer sind, die Kabel liegen lose daneben.
„And two beer, please“, sage ich scheinheilig.
„Sorry. We don't have, yet. The season won't start for another two weeks.“
Es bereitet ihm sichtlich Schmerzen, dass er mir kein Bier anbieten kann, doch dann beugt er sich mit Verschwörermine zu mir rüber, damit die hinter mir es nicht hören:
„I'll fix it later. Wait for me by the tent.“
Etwa eine Stunde später, als sämtliche Gäste eingecheckt haben und die Rezeption geschlossen ist, kommt er auf einem E-Scooter sirrend vors Zelt gefahren und stellt zwei Dosen Premium Lager vor mich hin. Richtiges Bier mit 4,6%, nicht das Zeug aus dem Laden, das in Schweden nur 3,5% hat. „Tack så mycket“, lieber Vollbart, dass du mir etwas von deinen geheimen Beständen überlässt.
Später sitze ich im offenen Zelt, trinke Bier und lese einen Schwedenkrimi, während im Hintergrund der Siljansee malerisch funkelt. Auf Reisen lese ich nur Krimis aus der Region.
Neben ein paar stimmungsvollen Morden bekommt man auch viele nützliche Informationen über die Gegend, in der die eigene Reise spielt.
Gerade bin ich vertieft in den zweiten Fall der Stina Borglund Reihe und frage mich die ganze Zeit über, was es mit dem Boot auf sich hat? Wenn es nämlich wirklich dasselbe Boot war
Entschuldigt, aber ihr müsst jetzt gehen, ich will weiterlesen, es ist gerade so spannend: „Gute Nacht, Leute. Bis morgen.“