Mit Color Fantasy nach Oslo
"Hast du das gesehen?", fragt Claudia und ihre Augen sind vor Staunen groß wie Untertassen, "Die haben 17 und 4 gespielt." Ich rolle mit den Augen. "Das war nicht 17 und 4 und auch nicht Mau-Mau oder Schwarzer Peter. Das war Black Jack im Casino. Und nenn das bloß nicht 17 und 4, sonst halten die uns für die totalen Landeier."
Das Pub ist halb offen und man kann draußen in der Einkaufspassage sitzen, wo es alle möglichen Geschäfte gibt. Ich sehe viele bekannte Schmuck- und Modelabel, eine große Parfümerie und einen Supermarkt. Ich zähle neun Restaurants und mehrere Bars, eine sogar mit einem Pianospieler. Ein Stelzenläufer lädt mich zu einem Tanzkurs ein, der heute abend in einem der Nachtclubs stattfindet.

Nichts, aber auch wirklich gar nichts deutet darauf hin, dass wir uns an Bord eines Schiffes befinden. Das ist eine ganz gewöhnliche Shopping Mall, wie es sie in jeder Großstadt gibt. Nur dass wir nicht in einer Stadt sind, sondern an Bord der Color Fantasy, einem der beiden Fährschiffe der Color Line, die täglich von Kiel nach Oslo fahren. Ein Drittel kleiner als die unglückliche Costa Concordia und doch ein riesiges Schiff mit bis zu 2.990 Passagieren und 750 PKW an Bord.
Ich würde gerne noch einmal ins Casino gehen, aber da sind wir vorhin gerade rausgeflogen, als wir eine kleine Fotosession gemacht haben. Zuerst haben wir Pieps mit einem riesigen Piratengoldschatz voller Dublonen fotografiert und dann habe ich der anwesenden Landbevölkerung demonstriert, wie eine Dame elegant und sexy eine beleuchtete Showtreppe hinunterschreitet. Leider kam mitten in meiner dritten Vorstellung so eine Senfnase in Hilfsuniform und hat uns weggejagt. "Striktes Fotografierverbot im Casino.", faucht er uns an und zeigt auf das große Verbotsschild.
Wir bekommen allmählich Hunger und machen uns auf die Suche nach einem passenden Restaurant. Das Manhattan gefällt mir sehr gut, aber ich werde misstrauisch, als ich die Speisekarte entdecke, die in Leder gebunden vor dem Lokal auf einer Säule präsentiert wird und tatsächlich kosten die Menüs zwischen 50 und 100 €. Selbst die Pizzeria ist uns noch zu teuer. Ich esse Pizza ohnehin nur in der absoluten Not und dann gebe ich ganz sicher keine 17 € für ein warmes Stück Brot mit Ketchup und Mettwurst aus. Dafür bekomme ich je nach Tageskurs mehrere Kilo Kotelett bei PLAZA.
"Genau das ist die Lösung.", sagt Claudia. "Wir kaufen was im Supermarkt und essen auf dem Zimmer." "Prima Idee," stimme ich eilig zu, "aber sag bitte nicht Zimmer. Das ist eine Kabine. Und das ist auch kein Geländer, sondern eine Reling. Und der Typ beim Captain's Dinner nächste Woche, das ist nicht der Schaffner, sondern der Kapitän. Am besten überlässt du das Reden sowieso mir.", seufze ich.
Jetzt brauchen wir noch etwas zu trinken, aber da wird es ganz merkwürdig. Die billigste Dose Bier kostet 15 NOK, Norwegische Kronen, das sind ungefähr 2,10 € und ich kaufe mir zwei 0.3 l Dosen Budweiser. Wir legen noch eine kleine Flasche Wasser ohne Kohlensäure in den Einkaufskorb. Das Wasser kostet 19 NOK, also 2,65 € und ist damit teurer als das Bier. Ein deutliches Signal an die norwegische Bevölkerung, das sehr wohl verstanden wird, wie wir später auf dieser Reise noch feststellen werden.
Ich frage einen der Verkäufer, ob es auch Brot zu kaufen gibt, aber er verneint und sieht mich an als ob ich mit einer Bierflasche vorm Bahnhof sitze. Die wollen ganz sicher nicht, dass wir uns hier selbst verpflegen und billiges Zeug aus dem Supermarkt essen.
Wir machen es uns in der Kabine gemütlich und essen stilvoll zu Abend. Schweinebauchrolle, Dosenbier und Schokokekse. Wir haben sogar einen Fernseher in der Kabine und zum ersten Mal seit Jahren sehe ich wieder fern. Es gibt einen Krimi, der bei der Kripo Schleswig spielt, aber irgendwas stimmt da nicht. Ich erkenne kein einziges Gesicht, obwohl ich die meisten Schleswiger Kollegen vom Sehen kenne. Und wie der Neue im Team mit den Asservaten umgeht, ist so amateurhaft, dass ich nach meinem Urlaub da mal anrufen werde, denn so geht es nicht.
Als ich nach dem Krimi satt und zufrieden einschlafe, deutet außer dem fernen Dröhnen der Motoren noch immer nichts darauf hin, dass wir an Bord eines Schiffes sind. Das wird übermorgen auf der MS Lofoten sicher ganz anders sein. Morgen früh um zehn legen wir in Oslo an und dann geht die Reise weiter...
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