Die erste Nacht an Bord
Irgend etwas stimmt ganz und gar nicht. Ich liege in meiner Koje und werde davon wach, dass ich wie wild hin und her rutsche. Gerade komme ich mit dem Kopf an der Wand an, wobei meine eingeklemmten Haare ziepen, als es nach einem Moment der Schwerelosigkeit schon wieder nach unten zum Fußende geht.
Ich horche ängstlich in mich hinein, ob mir bereits übel wird, aber nein, bis jetzt fühle ich mich gut. Ein wenig kann ich das Schaukeln jetzt sogar genießen, weil es irgendwie total gemütlich ist. Ich muss nur eine Position im Bett finden, in der ich wieder einschlafen kann. Ich lege mich auf die Seite, presse den Dubs fest gegen die Wand und stütze mich mit dem Knie an der Koje ab. Nach einer Weile bin ich wieder fest eingeschlafen.
Als um halb sieben mein Wecker geht, hat sich die See wieder beruhigt und ich verschwinde im Bad. Wir müssen uns in zwei Schichten fertigmachen, weil die Kabine viel zu klein ist. Zuerst Pieps und ich und danach Claudia.
So früh am Morgen ist der Speisesaal noch angenehm leer. Auf einem großen, fest verschraubten Tisch wartet ein erstklassiges Frühstücksbuffet. Es gibt gebratene Köttbullar, Spiegeleier, Bacon, Leberkäse, Minibratwürste, Porridge, gekochte Eier und eine Auswahl an Wurst und Fisch. Natürlich gibt es auch Müsli, Trockenfrüchte, Brot und Marmelade, aber die können mich ja nicht zwingen, sowas zu essen und deshalb stelle ich mir nur einen kleinen Frühstücksteller aus Krabbensalat in Mayonnaise, einem winzigen Stück gebratenen Leberkäse und zwei Stücken Fisch in Tomatensauce zusammen. Etwas Schwereres kriege ich so früh am Morgen einfach noch nicht runter.
Nach einer Weile kommt Claudia dazu und ich winke sie freudig an den Tisch. Wir müssen uns ein wenig beeilen mit dem Frühstück, weil wir ab 8 Uhr Stadhavet überqueren und dort mit rauher See zu rechnen ist. Tatsächlich fängt es pünktlich an zu schaukeln und es ist schon eindeutig ein Unterschied, ob man nur mit dem Dubs im warmen Bett liegt, oder eine randvolle Tasse heißen Kaffees quer durch den Speisesaal balanciert.
Claudia entwickelt eine erstklassige Technik, bei der sie sich mit einer Hand an der Decke abstützt, während sie in der anderen einen Teller Porridge balanciert. Wieder einmal zahlt es sich aus, einen Tick länger zu sein. Auch die übrigen Gäste sind von Claudias Technik beeindruckt, aber nur bis zu dem Zeitpunkt, als sie in der Observation Lounge ein Deckenpanel losbricht.
Nach dem Frühstück setze ich mich im Eisbärensalon in einen der tiefen, blauen Clubsessel und teste ohne jede Erwartung mit dem iPod, ob es eine WiFi Verbindung gibt, aber es gibt keine und das ist prima. Vielleicht würde ich sonst, wie viele andere an Bord, dauernd an meinem Laptop, Netbook, Handy oder iPhone herumspielen und mit einer wackeligen GSM Verbindung im Internet surfen. Ein älterer Herr spielt auf seinem Windows Notebook Solitär. Ich nehme mir die Zeit, ihn ein wenig zu verachten.
Gegen 12.30 Uhr treffen wir in Ålesund ein, wo viele Passagiere für einen Landausflug von Bord gehen. Als Buffetprofis warten wir, bis die Landurlauber gegessen haben und wir das Buffet fast für uns alleine haben. Keine Gefahr, denn es wird alles laufend frisch nachgelegt. Und was für ein Buffet das heute mittag ist: Es gibt gebratene Flunder, gedünsteten Schellfisch und ein erstklassiges Rindergulasch. Ich nehme von allen dreien und bin begeistert. Beim nächsten Mal nehme ich sogar einen extra Teller für jedes Gericht und matsche nicht alles auf einem zusammen. Ich finde, das wirkt sogar noch einen Tick vornehmer.
Am Nachmittag setze ich mich mit meinem Kindle in den Eisbärensalon im Bug des Schiffes, wo ich mich in "A Game of Thrones" vertiefe, das beste Buch, das ich seit Ewigkeiten gelesen habe. Die Atmosphäre im Eisbärsalon ist angenehm ruhig und entspannt. Eine kleine Gruppe Engländer unterhält sich leise über Cricket, andere Passagiere lesen oder schlafen und eine junge Holländerin überträgt die Digitalfotos ihrer Kamera auf ein Laptop.
Schon die dritte Welle in der Hustadvika macht reinen Tisch in der Kabine. Der Reiseführer, die Landkarten, meine Haarspangen und verschiedener anderer Kram fallen auf den Boden, wo jetzt auch noch die großen Reisekoffer hin und her rutschen. An Schlaf ist nicht zu denken.

Einige Gäste haben sich vorzeitig vom Dinner verabschiedet und sollen kreidebleich aus dem Saal geeilt sein, was allgemein als sehr rücksichtsvoll empfunden wird.
Es ist eine grässliche Nacht, aber irgendwann schlafe ich dennoch ein. Vermutlich gegen 21:45 Uhr, als wir in Kristiansund festmachen und für eine gute Stunde ruhig im Hafen liegen.
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