Heimreise und ein kühner Plan
Als ich an diesem Morgen in den Speisesaal komme, liegen wir bereits am Hurtigruten Kai in Trondheim. Das letzte Frühstück an Bord der MS Lofoten, denn hier müssen wir aussteigen. Ich schaufele eine Riesenportion gebackener Bohnen, Speck und Würstchen auf meinen Teller, um die Traurigkeit zu vertreiben.

An der Information erfahre ich, dass die Bahnstrecke irgendwo in den Bergen durch einen Erdrutsch weggerissen wurde und wir mit dem Bus nach Berkåk gebracht werden, wo unser Zug auf uns wartet.
Die Fahrt in dem modernen Reisebus macht Spaß. Es ist ein Doppeldecker und wir sitzen oben, von wo wir eine tolle Aussicht auf die verschneite Landschaft haben.
Etwa eine Stunde hinter Trondheim kommen wir an der Stelle vorbei, wo die Gleise verschüttet wurden. Die Gleise, die neben dem Fluss entlangführen, sind nicht mehr zu sehen. Zwei Bagger sind dabei, den Schaden in Ordnung zu bringen.
Nach insgesamt acht Stunden setzt der Bus uns in Oslo am Bahnhof ab. Davon habe ich mindestens zwei Stunden im Sitzen geschlafen. Sowas kann ich richtig gut. In dieser Hinsicht habe ich als Beamtin klar die bessere Ausbildung.
In Oslo ist Frühling. Ein wunderschöner Tag, die Leute sitzen in der Sonne, die Girls tragen kurze Röcke und auf dem Platz vor dem Bahnhof hängen die üblichen Schwarznasen herum, wie man sie wohl auf jedem Bahnhof der Welt trifft.
In einem Laden kaufe ich eine große Tüte Wiener Würstchen, eine Tube Senf und zwei Dosen Bier. Für Claudie und Pieps gibt es Apfelsaft und Kviklunch.
Wir rollen die Koffer hinüber ins Clarion Hotel und verschwinden sofort auf unser Zimmer. Als erstes wollen alle unter die heiße Dusche und innerhalb kürzester Zeit verwandelt sich das Bad in eine Hölle aus Wasserdampf und nassen Handtüchern. Frisch geduscht veranstalten wir ein Picknick im Bett. Ich halte mich an Würstchen und Bier, ein gutes Essen für jede Gelegenheit. Und Senf natürlich...
Claudia berichtet am nächsten Morgen, dass es in der Nacht Randale auf der Straße gegeben hat. Jugendliche, laut, besoffen, gröhlen, Polizeisirenen, Sound wie aus den USA. Großstadt eben. Ich mag sie nicht sonderlich, egal was sie sonst zu bieten haben und deshalb meide ich sie auf allen meinen Motorradreisen. Die Einsamkeit ziehe ich jederzeit vor.
Claudia ist so aufgebracht, dass sie zur Information geht und entrüstet fragt, ob man auch irgendwo sitzen kann, ohne etwas bestellen zu müssen. Ja, erfahren wir, so einen Ort gibt es, einen sehr schönen sogar. Man darf sich in die dicken Clubsessel der Pianobar setzen und wenn der Ober kommt soll man sagen: "No, thank you, please." Dann geht er wieder, ohne dass man rausfliegt, oder es etwas kostet. Der Platz ist echt klasse, aber ohne zu fragen, wären wir da nie drauf gekommen.
Zum Dinner ziehen wir uns in die Kabine zurück. Pieps drängelt ohnehin schon die ganze Zeit, seit sie die kleine Tüte Orangenkekse gesehen hat, die ich noch in meinem Koffer habe und die sie so "total gerne mag".

"Trotzdem verstehe ich nicht, warum die nicht einfach mit LKW fahren, die sind doch viel schneller und moderner, als so'n alter Kahn, der sich durch die Wellen kämpft.", stelle ich altklug fest.
An Claudias missbilligendem Blick sehe ich, dass sie mal wieder anderer Meinung ist und gleich wieder die Oberlehrerin hervorkramen wird. Und tatsächlich, diese Frau entäuscht einen niemals: "Sag mal, Tinky Winky, hast du auch nur eine ungefähre Vorstellung davon, wieviele Kilometer kurvenreicher Straßen man quer durch die Berge, übers Fjell, durch Tunnel und auf Fähren über Fjorde fahren müsste, um all die kleinen Häfen zu besuchen und nach Kirkenes zu gelangen?"
"Nein, keine Ahnung, jedenfalls nicht exakt, aber ich bin ja auch nicht völlig dämlich. Ich schätz mal zwei Tage, ungefähr tausend Kilometer, oder so?"
Claudia sieht mich mit dem nachsichtigen Blick einer Mutter an, die ihrem Kind erklärt, wie weit es bis Afrika ist, wenn es bisher nur den Weg zum Kindergarten kennt: "Das sind fast 6.500 Kilometer bis Kirkenes, wenn man alle Häfen anfährt, in denen wir mit Hurtigruten gewesen sind."
Ich bin beeindruckt, aber das kann ich mir natürlich nicht anmerken lassen, stattdessen erwidere ich cool: "Weißt du was? Die Strecke müsste man echt mal nachfahren: Hurtigruten an Land mit Motorrad, Zelt und Schlafsack.
Das wäre einmal eine Reise...!"
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