Die letzte Fahrt der Nordstjernen
Der Eisbärensalon der MS Lofoten hat sich über Nacht in ein Feldlager verwandelt. Die Kids haben Sessel und Bänke zusammengeschoben und liegen darauf eingemummelt in ihren Schlafsäcken.
Am Mittag erreichen wir Tromsø, das Tor zur Arktis. Wir haben vier Stunden Aufenthalt und alle Passagiere verlassen das Schiff, um sich die Stadt anzusehen.
Tromsø ist nicht nur berühmt für die nördlichste Universität der Welt, sondern auch für die Eismeerkathedrale, ebenfalls eine nördlichste der Welt, aber so weit oberhalb des Polarkreises ist irgendwann alles "Nördlichstes der Welt".




Er hat mit Bleistift in feiner Schreibschrift in ein Moleskine geschrieben. Ich halte mein eigenes Tagebuch daneben und sie sehen sich zum Verwechseln ähnlich. "Ja," erläutert Claudia, "Bleistift ist der einzige Schreibstift, der immer funktioniert und das sogar in der Arktis bei -40°." Das Polarmuseum in Tromsø begeistert mich und ist ganz sicher einen Besuch wert.
Vom Museum aus gehen wir über Nebenstraßen zur Storgata, der Einkaufsstraße. Auf den ersten Blick erscheint sie fremdartig und exotisch. Ganz anders und viel interessanter als die Holstenstraße in Kiel. Es sind überwiegend Holzhäuser mit kleinen Schaufenstern.
Überall liegen Schnee und Eis. Die Autos und sogar die Fahrräder haben Spikes in den Reifen und ich bin erstaunt, wie schnell eine Mutter auf dem vereisten Radweg mit Fahrrad und Kinderanhänger unterwegs ist.
Dann im Zentrum die Ernüchterung. Dicht nebeneinander finden sich Vero Moda, H&M, Cubus, Intersport und ein Burger King. Ich bin richtig sauer und enttäuscht. Entkommt man diesen Ketten denn wirklich nirgends mehr auf der Welt, nicht einmal in der Arktis? Sehen alle Einkaufsstraßen dieses Planeten inzwischen gleich aus?




Trotzdem wird es ein richtig doofer Abend. Mehr als zwei Seiten habe ich darüber mit wütender Hand in mein Reisetagebuch geschrieben, aber ich will den Ärger nicht noch einmal durchleben und gebe nur die Kurzfassung:
Der Speisesaal ist überfüllt, so dass wir uns zu einem älteren englischen Ehepaar an den Tisch setzen. Wie immer beginne ich einen netten Small Talk, erzähle, scherze, lobe, frage und merke erst viel zu spät, dass ihr Husband sich vor Abscheu über unsere Anwesenheit fast übergeben muss.
Mein erster Gang zum Buffet bleibt auch mein letzter. Ich bin so gekränkt, dass mir der Appetit vergangen ist und Claudia empfielt ebenfalls, die Beiden zu erlösen und zu verschwinden. Heute abend habe ich mich zum ersten Mal dafür geschämt, Transgender zu sein.
Später am Abend steht uns ein ganz besonderes Ereignis bevor. Wir werden der MS Nordstjernen begegnen, dem einzigen aktiven Schiff der Hurtigruten, das noch älter ist als unsere MS Lofoten.
Die Nordstjernen befindet sich heute auf ihrer letzten Fahrt. Nach ihrer Rückkehr wird sie in Bergen außer Dienst gestellt. 1.552 mal ist das in die Jahre gekommene Schiff von Bergen nach Kirkenes und zurück gefahren und hat dabei 7,4 Millionen Kilometer zurückgelegt.
Die Mannschaft der Lofoten hat für diesen kurzen Moment, in dem die beiden alten Schiffe sich in der völligen Dunkelheit des nördlichen Polarmeers begegnen, eine kleine Party vorbereitet. Gammle Damer er best, Alte Damen sind die Besten, steht auf einem großen weißen Bettlaken, das an der Reling hängt. Die Offiziere stehen mit roten Nebelkerzen bereit und die Küchenmannschaft hat Topfdeckel und Kochlöffel zum Lärmen an Deck geschleppt.


Jetzt ist die MS Lofoten das dienstälteste Postschiff der Hurtigruten und auch sie soll in wenigen Jahren außer Dienst gestellt werden. Dann bleiben nur die großen, modernen Casinodampfer mit Showprogramm und Black Jack Tischen. Wer noch einmal auf einem der alten Postschiffe fahren möchte, sollte das nicht mehr auf die lange Bank schieben.
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