Buffet und rauhe See
Säcke mit Zement für Båtsfjord, eine LKW-Ladung Bier nach Kirkenes, eine Palette Kekse für Hammerfest und am Niedergang zur Kombüse stehen drei Wannen voller Rindfleisch.
Gerade werden an der Reling zwei große Treckerreifen als Decksfracht verzurrt, während ein roter Toyota Gabelstapler auf dem Kai die nächste Palette ans Schiff heranfährt.
Die Postschiffe der Hurtigruten sind eine wichtige Lebensader entlang der norwegischen Küste bis hinauf in die Arktis, denn viele der kleinen Häfen sind auf dem Landweg wirtschaftlich kaum zu erreichen.
Wir liegen heute vormittag im Hafen von Trondheim und haben das Schiff fast für uns alleine. Die meisten anderen Passagiere nehmen an einem Stadtrundgang teil, nur wir nicht. Claudia kennt die Stadt wie ihre Westentasche, ich mag nicht latschen und Pieps will die Kombüse nicht aus den Augen verlieren, seit in Ålesund eine halbe Palette Eiscreme an Bord gehievt wurde.
Zum Mittag gibt es wieder ein erstklassiges Buffet, in dem Sättigungsbeilagen, wie Nudeln und Reis, nicht vorkommen und selbst Salat nicht so penetrant in den Vordergrund missioniert wird, wie es manchmal üblich ist. Allenfalls für Diabetiker und Magenkranke wird dezent etwas davon bereitgehalten.

Für Pieps gibt es Erdbeerkuchen, Eiscreme und ein großes Stück Haut, dass ich für die kleine Maus extra vom Vanillepudding abrollen musste.
Den Nachmittag verbringe ich mit dem Kindle in der Lounge. Wie hingegossen liege ich in meinem grauen Kleid und den schwarzen Overknees von Buffalo Girl in einem der tiefen, weichen Clubsessel. Vermutlich bin ich die einzige an Bord, die nichts von Fjällräven oder Wolfskin im Schrank hat und die außerdem zu jeder Tageszeit ein vollständiges MakeUp trägt.
Die meisten anderen Passagiere, außer Pieps und Claudia, tragen Jeanshosen, Fleecepulli und sehr gerne diese unsäglichen Plastikcrocs. Ich habe das Gefühl, dass niemand diese Kreuzfahrt wirklich ernst nimmt und stelle mir vor, wie Kate in Crocs und Bequemhosen im Rettungsboot der Titanic sitzt, während Leonardo einen roten Fleecepulli trägt, der mit einem albernen Elch bestickt ist. Der Film hätte sicher keine elf Oskars bekommen.
Sollten wir also untergehen, was mir nach der letzten Nacht nicht mehr völlig ausgeschlossen erscheint, dann will ich wenigstens gut aussehen dabei und hoffe, dass die Kamera auf mich hält.

Der Stretchrock dieser Tussi ist unverschämt kurz und wir tragen fast die gleichen Overkneestiefel. Sicher ist sie nicht einmal halb so alt wie ich, sieht umwerfend aus und sogar ihr Freund sieht ganz ok aus. Für einen Mann.
Ich kann beide auf Anhieb nicht leiden und hoffe, dass sie nach dem ersten Kind aufgeht wie ein Hefekuchen, während er früh eine Glatze kriegt. Den Rest des Tages habe ich miese Laune.
Gegen Abend habe ich ein echtes Tief. Während wir zu Abend essen, werden wir Folda überqueren und es ist mit rauher See zu rechnen.
In der Ferne sieht man die ersten Brecher an den Klippen zerschellen und weiße Gischt spritzt meterhoch in den dunklen Abendhimmel. Ich habe mir schon einen Fluchtplan überlegt, falls mir schlecht werden sollte. Mir ist schon den ganzen Nachmittag über ein wenig flau und ich esse sogar ein Stückchen trocken Brot, was ich sonst niemals tue.
Der erste Gang ist eine sensationelle Blumenkohlsuppe und schon nach den ersten Löffeln geht es mir besser und das flaue Gefühl ist verschwunden. Ich bin so happy, dass ich nicht übel Lust hätte, ein paar Schritte zu tanzen. Das war also keine Seekrankheit, sondern mir war einfach nur schlecht vor Hunger. Ab jetzt kann ich den Seegang genießen.
Am Fisch kann es nicht liegen, denn der schmeckt köstlich. Gerade als ich überlege, ein paar der stehengelassenen Lachsforellen einzusammeln, wird bereits der dritte Gang aufgetragen, eine fette Süßspeise aus norwegischer Dickmilch.
Ganz überraschend wird das Licht im Saal gedämpft und Charlotta, eine der Kellnerinnen und ein wunderhübsches Mädchen, singt a capella ein Lied für uns "Fields of Gold". Ich bin nach den ersten Zeilen so berührt, dass mir die Tränen in die Augen schießen und nur mein wasserfestes MakeUp das Schlimmste verhindert. Ich habe Mühe, meine Fassung zu finden, bevor das Licht im Saal wieder angeht.
"Heuls du, Tzwännja....?! Wieso heuls du jetz ei'ntlich...?" kräht Pieps fröhlich in den Saal und informiert die umsitzenden Passagiere über meinen Gemütszustand. Oh, ich liebe Kinder...
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