Hunting the Light
Inzwischen habe ich alle meine Outfits schon mindestens einmal angehabt und es geht in die Wiederholung. Ich entscheide mich für ein graues Strickkleid und die schwarzen Keilstiefel. Mit den 9 cm Absätzen bin ich sogar noch einen Tick größer, als die wunderschöne Blonde aus der Crew, deren strahlendes 1.000 Watt Lächeln mich jedesmal fast umhaut.

Am späten Vormittag legen wir in Hammerfest an, das sich seit Jahren mit Honningsvåg um den Titel Nördlichste Stadt der Welt streitet. Honningsvåg liegt tatsächlich weiter nördlich, hat aber keine 5.000 Einwohner und ist damit nach norwegischem Recht keine Stadt.


Es liegt noch dick Schnee, aber Pieps hat trotzdem kein Glück. Tauwetter hat eingesetzt und der Schnee reicht bestenfalls für eine Matschmaus. Ich bin froh, dass ich die hohen Schuhe anhabe und einigen Vorsprung vor dem Schneematsch habe.
Nachdem Claudia ihre Kirche fotografiert hat, gehen wir kreuz und quer durch den Ort. 90 Minuten sind mehr als genug Zeit, um Hammerfest zu Fuß zu erkunden. Wir kommen an einem Friedhof vorbei, auf dem manche der Grabsteine dick mit Plastikfolie verpackt sind. Damit soll verhindert werden, dass die Steine im Winter bei extremer Kälte platzen.
Die kleine Stadt brummt an diesem 21. März, am Frühlingsanfang. So klein Hammerfest auch ist, für die Bewohner aus weiter Umgebung ist es die einzige Einkaufsmöglichkeit. Der größte, und vermutlich einzige Supermarkt des Ortes, ist Coop Mega, ein mittelgroßer, moderner Supermarkt, doch hier in der Arktis ist es ein Megastore. Claudie möchte sich neues Kwikk Lunsj kaufen, eine Art norwegisches Kitkat und sowas wie ein Grundnahrungsmittel hier im Norden, ich möchte die Fleischabteilung besichtigen und Pieps will "einfach nur ma so gucken..."
Das Fleisch in den Kühltresen sieht nicht sehr appetitlich aus. Skandinavien ist keine gute Gegend für Fleischesser und die norwegische Arktis am allerwenigsten. Es gibt keine Metzgereien, sondern ausschließlich in Plastik verpacktes Fleisch aus dem Supermarkt. Frischfleischtheken, wie wir sie kennen, sind hier völlig unbekannt.



Wir halten uns nicht weiter auf. Der Hauptgrund dafür ist das Mittagsbuffet, das in wenigen Minuten an Bord serviert wird. Heute gibt es zwei Fischgerichte, panierten Dorsch und gedünsteten Heilbutt. Ich kann mich nicht entscheiden und nehme beide.

Einige Zeit später taucht eine winzige Ortschaft tief im arktischen Nirgendwo auf. Es ist Øksfjord, ein 500 Seelen Fischerdorf, dessen wenige Häuser sich auf einem schmalen Felsen zwischen der See und dem Øksfjord Fjellet (772 m) dicht aneinander drängen.
Den kurzen Aufenthalt verbringe ich draußen auf dem Bootsdeck. Ich erkenne eine Kirche, einen kleinen Laden und ein verlassenes Hotel mit blinden Scheiben. Der Ort fasziniert mich, weil er so völlig abgelegen im Nichts liegt.
Unser Kran hebt einige große weiße Ballen vom Kai und lässt sie in den Laderaum hinab. Im Vorbeischwenken kann ich gerade noch die Aufschrift lesen, Polarfeed steht auf den Ballen. Später finde ich heraus, dass sich darin Fischfutter für die Lachsaufzucht befindet.

In Skjervøy nehmen wir eine Handvoll Passagiere und eine Europalette Arctic Salmon an Bord, bevor wir wieder in die sternklare Nacht hinausfahren. Claudia steht eisern oben auf der Brückennock und friert sich den Dubs ab, Hunting the Light. Sie meint, es sei geradezu ideales Wetter für Polarlicht.

Die MS Lofoten fährt mit minimaler Beleuchtung durch die Nacht und überall an Deck stehen dick vermummt die Fotografen in der Dunkelheit, Hunting the Light. Die echten Profis haben in dieser Nacht ihre Stative auf das vibrierende Stahldeck des schwankenden Schiffes gestellt, um mit Langzeitbelichtung gestochen scharfe Fotos zu schießen. Profis eben.

Als ich endlich schlafen gehe, steht Claudia noch immer an Deck und sieht durch ihr Nachtglas empor zum Sternenhimmel. Hunting the Light.
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