Inhaltsverzeichnis
Deutschland
Tag 1: Kiel - Havelberg
Tag 2: Havelberg - Bad Schandau
Tschechien
Tag 3: Bad Schandau - Ostas
Tag 4: Ostas - Kemp Bozenov
Tag 5: Bozenov - Reingers
Österreich
Tag 6: Reingers - Zwiesel
Deutschland
Tag 7: Zwiesel - Halle
Tag 8: Halle - Lanzer See
Tag 9: Heimkehr und Fazit
Motorradreise Tschechien
Platzhalter Motorradtour Tschechien
Platzhalter Kassenbon
Platzhalter Kassenbon
Platzhalter Kassenbon Edeka
Platzhalter Reisekasse Motorradtour
Platzhalter


Durch Österreich...

Am Waschbecken neben mir steht Frau Huber, eine Dame in den Achtzigern, die ihr silbernes Haar in Form bringt und mir dabei die Lebens­geschichte ihres Bruders erzählt. Normalerweise würde ich mich schon vor Langeweile kratzen, aber heute morgen genieße ich die kleine Unterhaltung. Und die Sache, die ihrem Bruder mit dieser jungen Ärztin in Australien passiert ist, ist wirklich der Hammer. Er hätte sie aber trotzdem nicht heiraten sollen, da sind Frau Huber und ich uns einig.

Waschbecken Spiegel Campingplatz

Heute verbringe ich etwas mehr Zeit im Waschraum als sonst, denn auch die Kinder von Frau Hubers Bruder haben eine Menge durch­gemacht, obwohl ich die Geschichte mit dem Professor nicht ganz glauben kann, denn warum hätte er seine Frau verlassen sollen?

Erst als Frau Huber ihre Sachen nimmt und sich verabschiedet, gehe auch ich endlich zurück zum Zelt. Inzwischen sind dunkle Wolken aufgezogen und es weht ein merkwürdig warmer Wind. In Rekordzeit breche ich das Lager ab, verstaue alles auf dem Motorrad und bin startklar.

Ich liebe diesen Moment, wenn man sich morgens aufs Motorrad setzt, das Gepäck sauber verstaut, und man langsam vom Zeltplatz auf die Straße rollt, die ersten Gänge durch­schaltet und behutsam den Motor warmfährt. Solch ein Gefühl von Aufbruch und Freiheit, während man noch nicht weiß, was der Tag bringt. In diesen Momenten fühle ich mich so stark, als sei ich unverwundbar und könne die Welt aus den Angeln heben.

Tankstelle Restaurant Österreich

Doch auch Supergirls müssen ab und zu etwas essen und Astrid, die liebenswerte Managerin des Haarstuben Camps, hatte mir die große AVIA-Station in Gmünd empfohlen, wo es ein gutes Frühstück geben soll.

Als ich durch die verglaste Schiebetür ins Cafe-Restaurant eintrete, ist es wie ein Zeit­sprung zurück in die Achtziger. An den Tischen wird geraucht, gegessen, sich unter­halten und nach Herzenslust gequarzt. Zigarettenqualm schwebt über allen Tischen und neben den Tellern stehen die halbvollen Aschen­becher.

Ich selbst habe nie geraucht, aber es hat mich auch nie gestört und heute morgen, da liebe ich es geradezu, denn Rauchen hat auch etwas mit Geselligkeit zu tun, dabei könnte ich selbst an keiner Zigarette ziehen, ohne mich vor dem Geschmack auf der Zunge zu ekeln.

Das Diner ist brechend voll, Stimmengewirr, Geschirrklappern und dazwischen Kellnerinnen, die auf bequemen Schuhen lautlos von Tisch zu Tisch huschen und mit großem Geschick noch größere Portionen von deftigem Essen balancieren.

Der einzige freie Tisch ist reserviert, aber als eine Kellnerin mich bemerkt, sieht sie kurz auf die Uhr und gibt den Platz für mich frei, denn bis die Gäste kommen ist noch Zeit genug.

Ich bestelle ein Trucker Frühstück und bin gespannt, was da kommt, denn mehr als diese Bezeichnung steht nicht auf der Karte. Es bleibt gerade genug Zeit, um die Geschichte von Frau Huber aufzu­schreiben, als die Kellnerin schon das Tablett mit dem Frühstück bringt.

Spiegeleier und Speck Frühstück Orangensaft Kaffee

DAS ist ein Frühstück, obwohl ich den Saft und das Brötchen nicht gleich zuordnen kann. Besser habe ich bisher nur in Schottland gefrühstückt, aber ich vermute, hier gibt es kein Haggis und deshalb ist es außer Konkurrenz.

Nach einer halben Stunde sitze ich wieder auf dem Motorrad und fahre weiter. Die Häuser, die Landschaft, Kirchen, Straßen, Gehöfte und sogar die Kühe auf der Weide sind so reizend anzusehen, dass ich ganz hingerissen bin von Österreich. Welch ein schönes Land das ist und die Menschen finde ich bisher total sympathisch.

Zugleich ist das Land mir in manchem ebenso fremd wie Tschechien. Schlachter heißen hier Fleisch­hauer und ganz normale Brötchen sind plötzlich Semmeln. Die Frechheit aber erlaubt sich ein Laden in Gmünd, der ganz dreist unseren ALDI kopiert und einfach nur Hofer dran­schreibt, ansonsten sieht alles genauso aus.

Ich bin versucht anzuhalten, reinzugehen und ein paar klare Worte zu sagen, aber ich weiß nicht, ob meine Kompetenz ausreicht, den Laden auf der Stelle dicht zu machen und deshalb lasse ich es. Aber ich behalte euch im Auge, Leute!

In Weitra biege ich von der Hauptstraße ab und fahre durch das Stadttor in den Ort hinein. Die engen Gassen und die schmuckvollen alten Häuser sind so ganz anders, als ich es aus Schleswig-Holstein gewohnt bin.

Stadttor Weitra

Hinter dem Stadttor öffnet sich die Gasse zu einem gepflasterten Platz. Eines der Häuser zieht den Blick durch eine ungewöhnliche Fassade auf sich. Es sieht aus, als wenn ein lebens­großer Comic auf die Wand gemalt wurde.

Sgraffitohaus Weitra

Ich stelle das Motorrad ab und gehe hinüber, um es mir näher anzusehen. Auf der Hauswand ist eine Bildergeschichte zu sehen, Motive aus dem Mittelalter voller Gewalt und Unruhe und dazwischen Texte, die comicartig die Handlung erläutern. Die Texte sind auf Deutsch und ich kann jedes Wort lesen, aber den Sinn verstehe ich trotzdem nicht.

Sgraffitohaus Weitra

Die Recherche ergibt später, dass es sich um ein Sgraffitohaus handelt, ein Haus, in dessen Fassade mit besonderer Putztechnik ein Muster gekratzt wurde. Das Sgraffitohaus in Weitra ist von 1580 und die alten Texte darauf sind mit heutigem Sprachverständnis nicht auf den ersten Blick zu verstehen.

Bad Leonfelde

Der nächste Ort heißt Bad Leonfelde und ich biege von der Umgehungsstraße ab, um zu tanken. Auf dem Weg zur Tankstelle fahre ich an einer besonders hübschen Bäckerei vorbei und bekomme spontan Appetit auf Kaffee und Kuchen. Ich wende und stelle das Motorrad vor dem Schaufenster ab.

Brioche

"Grüß Gott", werde ich von einer jungen Verkäuferin begrüßt und als ich mir ein Stück Kuchen aussuche, empfiehlt sie mir Brioche Knöpfe. Das sei eine Neuheit, die sie zum ersten Mal gebacken hat, ein leichtes Hefegebäck mit Kirschfüllung. Das Mädchen ist so jung, dass sie vermutlich gerade erst ihre Lehre beendet hat.

Brioche

Die Brioche Knöpfe stellen sich als hammer­schweres Hefe­gebäck heraus, das prall mit Kirsch­marmelade gefüllt ist und eine gewisse Maus zu wahren Begeisterungs­stürmen hinreißt.

Österreich

Kurz darauf bin ich mit vollem Tank wieder auf der Landstraße unterwegs und fahre weiter in Richtung bayerischer Grenze. Der eine Tag in Österreich hat mir gut gefallen. Das Land ist wirklich schön und die Menschen finde ich ausgesprochen freundlich und gesprächig. Hier möchte ich einmal Urlaub machen und das Land mit Motorrad, Zelt und Schlafsack bereisen.

Grenze Schild Österreich Bayern Deutschland

In Wegscheid überquere ich die Grenze nach Deutschland und gleich vier Schilder stehen zur Begrüßung am Grenz­übergang: Das Schild der Europäischen Union, unser deutsches, ein bayerisches und das von Tonis Pizzeria.

Bayern

Die Route durch Bayern führt auf Nebenstraßen durch eine hügelige Landschaft mit fetten grünen Wiesen wie aus einer Alpenmilch Reklame. Mich treibt heute nichts, weil die Tages­etappe nicht allzu lang ist und als ich an einer besonders schönen Stelle einen Rastplatz sehe, halte ich an zu einer Pause.

Aus den Tiefen meiner Endurojacke krame ich ein Päckchen Speck hervor, das ich aus guten Gründen nicht im Tankrucksack verstaut habe. Ich mag das, lässig auf einer Bank zu sitzen, die Füße hoch, die Welt zu beobachten und dabei eine Kleinigkeit zu essen.

Pause Motorradtour

Wie wunder­schön unser Land doch ist. Bevor ich das Allein­reisen für mich entdeckt habe, dachte ich immer, es sei langweilig ohne Motorradkumpel, weil man sich nicht unterhalten kann, aber das ist nicht so. Manchmal gehen mir tausend Gedanken im Kopf herum und manchmal gar keiner.

Heute abend soll es Steak geben, am liebsten Entrecote. Im ersten EDEKA ist es leider Fehlanzeige, ich glaube, die wussten nicht einmal, was das ist, beim Metzger nebenan, so heißen hier die Schlachter, dasselbe, kein Entrecote.

In Untergriesbach gebe ich EDEKA eine zweite Chance und tatsächlich gibt es zumindest eine kleine Auswahl von Rindfleisch. Nicht premium, aber ganz ok. Ich entscheide mich für zwei Rumpsteaks, die leider schon mariniert sind, aber anderes haben sie leider nicht. Dazu nehme ich zwei kleine Flaschen Merlot und ein Päckchen Schafskäse. Wenn das Rindfleisch so mager ist, dann muss ich das Fett eben vom Schaf zufüttern.

Bayern Kloster Rinchnach

Als ich durch Rinchnach fahre, weiß ich, dass es nicht mehr weit ist bis zum nächsten Camp. Nachdem sich die ursprüngliche Reiseroute im tschechischen Grenzgebiet in den Blau­beer­büschen aufgelöst hat, habe ich mir von Claudia, meiner Heimatbasis, einen neuen Camping­platz suchen lassen.

Claudie hat im Internet den Camping­platz Tröpplkeller entdeckt, zu dem ein großes Gast­haus mit Bier­garten gehört, oder vielleicht ist es auch umgekehrt.

Tröpplkeller Zwiesel

Ich lenke die Enduro auf den Parkplatz hinterm Gasthaus und sehe mich um. Die Rezeption für den Campingplatz ist sicher im Gasthaus, aber das ist geschlossen. Dienstag Ruhetag, steht auf einem Schild an der Tür und heute ist Dienstag. Schade, ich hätte so gerne einmal in einem bayerischen Biergarten gesessen.

Während ich noch sinniere, was jetzt zu tun ist, werde ich von oben angesprochen. Auf dem Balkon über mir steht eine ältere Dame, während ein kleiner Pinscher daneben­steht und pausenlos kläfft, wie es nur kleine Hunde können. Ätzend, aber so erfahre ich, dass ich mein Zelt irgendwo aufstellen darf, es käme später jemand zum Kassieren vorbei.

Der Platz wirkt ein wenig vernachlässigt, beinahe etwas ungepflegt, aber ich denke, das ist auch dem Saisonende geschuldet. Dafür habe ich die freie Platzwahl, es steht nämlich kein anderes Zelt auf dem Platz, abgesehen von ein paar Dauercampern, deren Vorzelte schon mit Moos bewachsen sind.

Zelt Motorrad Schlafsack

Es ist ein schwülwarmer Spätsommertag und die Motorradsachen kleben mir am Körper. Ich baue das Zelt auf und ziehe ein Minikleid, Leggings und Ballerinas an, mein Standard­outfit für Camps und walisische Pubs.

Im Zelt

Auf seiner Website wird der Campingplatz Tröpplkeller als idyllisch beschrieben und ich denke, das ist er auch, jedenfalls dann, wenn man schwer hörgeschädigt, oder besser noch, stocktaub ist.

Das Ätzende ist nicht die Landstraße, die am Platz vorbeirauscht, oder die Haupt­strecke der Bundesbahn, auf der die Züge vorbei­rasen, sondern so ein winziger grüner Schienenfloh der Waldbahn, der gefühlt alle paar Minuten über eine Brücke ganz in der Nähe fährt und dabei ein Signal erschallen lässt, wie der ICE-Rheingold auf Speed.

Gegen Abend wird es kühler und ich ziehe meine Fleecejacke und den Windbreaker über. Es ist so gemütlich im Zelt. Ich sitze mit dem Dubs auf der Isomatte, vor mir in der Pfanne brutzeln die Steaks und nebenher nasche ich Schafskäse und süffele Merlot aus dem Metallbecher.

Viel besser kann so ein Abend nicht sein, denke ich. Gleich werde ich noch das Geschirr abwaschen gehen und dann mit der zweiten Flasche Merlot und meinem Kindle im Schlaf­sack verschwinden.

zum nächsten Tag...

zurück nach oben



Heute habe ich ein neues Reiseziel für mich entdeckt, Österreich. Eines Jahres werde ich dorthin eine lange Motorradreise machen und mir alles genau ansehen.

Platzhalter
Svenja Svendura EndurowandernMade by Svenja Svendura on Apple iMac with Panic Coda and Photoshop Elements.