TET Germany 2020
Tag 1 Kiel - Flessenow
Tag 2 Wismar
Tag 3 TET Flessenow-Malchow
Tag 4 Plau - Röbel - Waren
Tag 5 TET Dobbin bis Penzlin
Tag 6 Burg Stargard
Tag 7 TET Penzlin bis Templin
Tag 8 Gramzow-Boitzenburg
Tag 9 TET-Oder-Niederfinow
Tag 10 Niederfinow - Userin
Tag 11 Userin - Malliß
Tag 12 Malliß - Kiel
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Trans Euro Trail Finale

Das Frühstücksbrötchen ist von vorgestern. Ich pieke den lappigen Teigling auf unsere Gabel und drehe es im Stil einer Grillwurst langsam über der Gasflamme. Es ist ein bisschen angekohlt und noch immer pappig, aber mit genügend Butter schmeckt es beinahe gut.

Reise nach Mecklenburg-Vorpommern

Ich packe alles zusammen und breche das Lager ab. Diesen Ort werde ich nicht vermissen. Der Campingplatz am Fährsee kommt nicht auf meine Liste „Tolle Campingplätze in ganz Europa, die so schön waren, dass ich da unbedingt mal wieder hin möchte“. Das ist noch nicht der endgültige Titel, aber einstweilen steht die Liste unter diesem Arbeitstitel in meinem Kopf.

Reise nach Mecklenburg-Vorpommern

Der Trail war in den vergangenen Tagen schon recht einsam, aber heute bin ich buchstäblich völlig allein. Vor der Abreise hatte ich solche Sorgen, dass ich jeden Meter mit Rotten bunter Motocrosser um die beste Fahrspur kämpfen müsste, aber bisher habe ich nicht einmal die Spur eines Stollenreifens entdecken können. Keine Radfahrer, keine Spaziergänger, kein Förster mit seinem Dackel. Niemand. Nur Svenja und Pieps auf ihrem Ackermofa.

Der TET führt kilometerweit an Bahngleisen entlang. Ein überwucherter Wiesenweg, das Gras feucht und rutschig. Ein Busch steckt die Zweige in den Weg. Ich muss rüber nach links, wie ich es schon ein Dutzend Mal getan habe. Das Vorderrad geht sauber rüber in in die linke Spur, aber das Hinterrad bleibt rechts. Zu zögerlich, zu wenig Gas, zu unentschlossen. Die Enduro kommt quer: „From Hero to Zero in drei, zwei, eins …“

Reise nach Mecklenburg-Vorpommern

Mit einem wenig damenhaften Fluch und dem Mut der Verzweiflung reiße ich das Motorrad in die linke Spur. Nur eine Sekunde lang unkonzentriert. Der TET verzeiht keine Unaufmerksamkeit. Dabei ist die Strecke nicht anspruchsvoll, es ist nur die schiere Länge, die eine Million Chancen eröffnet, einen Stunt zu versauen und sich querzulegen.

Reise nach Mecklenburg-Vorpommern

Der erste Mensch, den ich nach Stunden sehe, ist der Lokführer eines Arbeitszuges, der irgendwo in der Pampa an einem einsamen Bahnüber­gang an mir vorüberfährt. Ich muss mich schwer bremsen, um nicht euphorisch zu winken.

Kurz darauf bin ich erneut im Nichts- und Niemandsland der Uckermark unterwegs. Aus Sicht des Endurowanderns eine tolle Gegend, aber sie hat auch etwas Trostloses an sich.

Reise nach Mecklenburg-Vorpommern

Schließlich erreiche ich ein Dorf. „Erreichen“ ist im Grunde zu viel gesagt und „Dorf“ auch, denn die Spurbahn führt lustlos daran vorbei und mehr als einen Kirchturm, drei Wohnhäuser, zwei Bauernhöfe und einen Berg alter Autoreifen gibt es nicht zu sehen.

Reise nach Mecklenburg-Vorpommern

Das war ein 20-Sekunden-Schnappschuss von Günterberg und schon geht es zurück in die Felder.

Reise nach Mecklenburg-Vorpommern

Nach ein paar Kilometern auf Sandwegen unterschiedlicher Güte taucht in der Ferne ein riesenhafter Trecker mit einem wahren Monster von einem Güllefass auf. Wenn ich die Allee mit den Augen richtig verfolge, führt mein Weg dicht daran vorbei.

Reise nach Mecklenburg-Vorpommern

Kurz darauf ist Schluss. Ein Tanklaster versperrt den Weg. Das Güllefass wird aus den Tankern immer wieder nachgefüllt, damit der Trecker nicht für jede neue Ladung kilometerweit fahren muss. Die LKW stehen aufgereiht auf meiner Fahrspur und warten, bis sie an der Reihe sind. Da ist kein Vorbeikommen.

Reise nach Mecklenburg-Vorpommern

In einem Anfall wilder und keineswegs durchdachter Entschlossenheit lenke ich die Honda auf den Acker. Links am Feldrand gibt es eine letzte trockene Fahrspur, wo das Güllefass noch nicht langgefahren ist.

Reise nach Mecklenburg-Vorpommern

Ich fräse mit der Enduro über den Acker und staune einmal mehr über die riesenhaften Schläge in Ostdeutschland. Dieser Acker erstreckt sich bis zum Horizont. Erst allmählich sinkt der Gedanke in mein Bewusstsein: „Wie komm' wir hier wieder weg?“

Reise nach Mecklenburg-Vorpommern

Der Acker nimmt kein Ende. Ein Knick und Graben trennen das Feld vom Weg. An einer Stelle sieht es gut aus. Vorsichtig lenke ich das Motorrad zurück auf den Weg und drehe gleich mächtig auf. Der Sand ist plattge­fahren von den Reifen der Tanklaster. Hier kann ich ohne Risiko ein bisschen angeben, auch wenn es leider keiner sieht. Es macht trotzdem Spaß, mit durchdrehendem Hinterrad die Gänge durchzuladen.

Reise nach Mecklenburg-Vorpommern

Der Sandweg endet in Landin, einem Dorf in der Uckermark. Was hat das überhaupt zu bedeuten, Uckermark? Es ist wie damals mit Masuren. Man nennt nur den Begriff und schon geht es ringsum los mit „Ah...“ und „Oh...“. Meistens von Leuten, die selbst nicht da waren. Von manchen Gegenden weiß man eben, dass es da schön ist. Das gehört zur Allgemeinbildung.

Reise nach Mecklenburg-Vorpommern

Reise nach Mecklenburg-Vorpommern

Reise nach Mecklenburg-Vorpommern

Der Trans Euro Trail endet für mich in Criewen direkt am Ufer der Oder. Der Fluss markiert die Grenze zwischen Deutschland und Polen. Ich stelle die Enduro ab und schlage mich die letzten Meter durchs Unterholz bis ans Ufer. Zumindest möchte ich einen Blick auf die Oder werfen, bevor ich zurück in Richtung Westen fahre.

Reise nach Mecklenburg-Vorpommern

Zwei Fahrwassertonnen dümpeln träge in der Strömung. Die Rote markiert Backbord, was die meisten Menschen links nennen, und die Grüne Steuerbord, also rechts. Pflichtschuldig mache ich ein paar Fotos und stiefele zurück.

Reise nach Mecklenburg-Vorpommern

Bevor wir zum Fluss abgebogen sind, ist mir ein Café aufgefallen, "Anitas Eisstube. Café und kleiner Imbiss". Höchste Zeit für eine Pause und sogar allerhöchste Zeit, die letzten Eindrücke ins Tagebuch zu schreiben. Je länger ich damit warte, desto mehr Einzelheiten vergesse ich.

Reise nach Mecklenburg-Vorpommern

Pieps und ich entscheiden uns für Bockwurst mit Brot. Der Toast ist kross, die Würste knackig und der Senf deftig. Ein würdiges Essen zur Feier der letzten Etappe unseres kleinen Enduroabenteuers.

Von Criewen geht es auf der B2 in Richtung Angermünde. Ein endloser Stau aus LKW verstopft die Straße. Alle paar Minuten kommt Gegenver­kehr. Dann sind wir wieder dran und fahren ein paar Längen vor.

Ich verliere die Geduld, setze den Blinker und gehe nach einem letzten Blick in den Rückspiegel auf die linke Spur. Bevor der Gegenverkehr wieder grün hat, will ich möglichst viele LKW dort lassen, wo sie hingehören, im Rückspiegel.

Reise nach Mecklenburg-Vorpommern

Die Brummifahrer sind freundlich und denken mit. Sowie Gegenverkehr naht, lassen sie uns eine Lücke zum Einscheren. Es ist, als würde man Schutz in einer Herde Dinosaurer suchen, die einen gutmütig gewähren lassen. Das mag ich, wenn Leute mitdenken und Rücksicht auf Schwächere nehmen, besonders auf Pieps und mich. Ich bedanke mich jedesmal mit einem Winken.

Reise nach Mecklenburg-Vorpommern

Eine letzte Sehenswürdigkeit steht heute noch auf unserem Reiseplan, das Kloster Chorin. Laut Wikipedia eine ehemalige gotische Zisterzienserabtei. Was immer das bedeutet. Ich bin nur scharf auf ein paar hübsche Fotos alter Mauern und auf ein Stück Kuchen im Klostercafé.

Pflichtschuldig entrichte ich 6 € Eintritt für eine alleinstehende Mutter mit Maus und sehe mich um. Ein parkähnliches Gelände mit alten Bäumen und imposanten Bauten. Rote Ziegel leuchten warm in der Sonne.

Reise nach Mecklenburg-Vorpommern

Salbungsvoll schlendern wir einen Kreuzgang entlang und ich komme nicht umhin mich zu fragen, wozu ein Konversenrefektorium gut sein könnte und ob das nicht vielleicht ein Tippfehler ist. Pieps reißt sofort alberne Witze und ich sehe zu, dass wir weiterkommen. Jetzt weniger salbungsvoll.

Reise nach Mecklenburg-Vorpommern

Bevor mein Mangel an Bildung zu offensichtlich wird, weil ich tatsächlich keine Ahnung habe, was in einem Kloster tagein, tagaus so vor sich geht, ändere ich den Kurs und steuere quer über die Wiese auf das Klostercafé zu. Offenkundig bin ich nicht die Einzige, die ihre Prioritäten auf diese Weise setzt, denn der Kaffeegarten ist besser besucht als die Abtei.

Auch wenn Klöster nicht gerade mein Spezialgebiet sind, eine Sache weiß ich sicher: Das Essen ist immer gut. Der Rührkuchen ist vorzüglich und der Kaffee schmeckt wie feinster Sekretärinnenkaffee. Das ist der, den ich mir morgens von Hand durch den Filter gieße.

Reise nach Mecklenburg-Vorpommern

Von Chorin geht es weiter nach Eberswalde. Ich muss einkaufen, bevor wir raus zum Campingplatz fahren. Die Straße verläuft dicht am Oder-Havel Kanal, aber ein Erdwall neben der Fahrbahn versperrt die Sicht ins Land. Vielleicht kann man da raufklettern und einen Blick auf den Kanal werfen. Der muss ganz in der Nähe verlaufen.

Raufklettern? Wozu habe ich eine Enduro? Ich fahre von der Landstraße runter und halte auf den Wall zu. Kein Problem, der ist nicht steil. Ich stelle mich in die Rasten und heize entschlossen die Steilauffahrt hoch.

Es gibt zwei große Fehler, die man beim Hillclimbing machen kann. Der erste ist mangelnde Entschlossenheit: Man fährt zögerlich, gibt nicht genug Gas und verreckt auf halbem Weg, was zu einer Peinlichkeit und zu einem verdreckten Lenkerende führt, wahlweise links oder rechts. Demütigend, aber im Grunde harmlos.

Der zweite Fehler ist unvorteilhafter: Nicht zu wissen, was auf der anderen Seite ist. Das kann zu sensationellen Stunts führen.



Ein wenig zu enthusiastisch kommen wir oben an, bloß um festzustellen, dass wir schon auf dem Kanaldamm sind und der schmaler ist als gedacht. Ich werfe beide Anker und drehe rasch bei. Beim Wenden drückt der prall gefüllten Tankrucksack auf den Hupenknopf. Wild hupend und nicht ohne Peinlichkeit drehe ich um und rolle die Böschung wieder runter zur Straße. 58 Jahre und kein bisschen weise.

Reise nach Mecklenburg-Vorpommern

Zwei Kilometer weiter erreichen wir das Triangel Camp in Niederfinow. Ein wilder Apfelgarten am Ufer des Kanals, den ein Berliner Kollektiv zu einem wunderbaren Campingplatz gemacht hat. Es stecken viel Liebe, Handwerk und Herzblut darin. Hier fühle ich mich auf Anhieb wohl.

Reise nach Mecklenburg-Vorpommern

Reise nach Mecklenburg-Vorpommern

Ich stelle mein Zelt neben dem Tippi auf. Während ich den letzten Hering einschlage, kommen zwei junge Frauen an und machen sich ebenfalls daran ein Zelt aufzustellen. Sie nehmen das Zelt aus der Originalver­packung vom Supermarkt und entfalten den Waschzettel mit der Anleitung: „Nehmen Sie das Zelt A in eine Hand B1 bis B2 und stecken Sie einen Hering C1 bis C16 in den Mutterboden D1 …“

Reise nach Mecklenburg-Vorpommern

Die Beiden können eine helfende Hand gut gebrauchen, denke ich, aber dann schaffen sie es irgendwie doch allein. Selbst ist die Frau! Und selbst ist die Maus! Pieps hat inzwischen das reichhaltige Spielzeugangebot in der Sandkiste für sich entdeckt und einen namenlosen Trecker gekapert. Pieps ist beschäftigt und falls nicht in den nächsten Minuten ein plärrendes Kind am Arm einer nicht minder aufgebrachten Mutter bei uns auftaucht, wird es ein ruhiger Nachmittag.

Reise nach Mecklenburg-Vorpommern

Irgendwann ist die Maus müde und wir beschließen den Abend bei einem Glas Wein (ich) und einem gebackenen Schafskäse mit Tomaten und „so komische schwaaze Dinger“ (Pieps).

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Morgen wollen wir uns das Schiffshebewerk in Niederfinow ansehen, bevor wir mit Kurs Nordwest zurück in Richtung Heimat fahren.

zum nächsten Tag...

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Svenja Svendura EndurowandernMade by Svenja Svendura on Apple iMac with Panic Coda and Photoshop Elements.