Reise nach Italien
Tag 1+2: Kiel - Verona - Gajole
Tag 3: Am Lago di Corlo
Tag 4: Arsiè - Camp Valle Verde
Tag 5: Bozen - Meran
Tag 6: Meran - Stelvio - Gaviapass
Tag 7: Edolo - Zambla Alta
Tag 8: Zambla - Lago di Lugano
Tag 9: Lago Maggiore
Tag 10: Markt in Cannobio
Tag 11: L. Maggiore, Lugano, Como
Tag 12: Morbegno - Lago d'Iseo
Tag 13: Lago d'Iseo - Gardasee
Tag 14: Gardasee - Sega Di Ala
Tag 15: Verona - Heimreise - Fazit
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Passo dello Stelvio

Bevor ich heute losfahre, muss ich herausfinden, ob das Stilfser Joch überhaupt geöffnet ist. Der Stelvio, wie er in Italien heißt, ist immerhin 2.757 Meter hoch. Ich frage das Mädchen an der Rezeption, ob sie es für mich herausfinden kann. Tatsächlich, der Pass ist offen, aber sie schreiben Winter­aus­rüstung vor. Winterausrüstung? Haben wir: Greeny trägt Enduroreifen, ich warme Handschuhe und Pieps kriegt den dicken Pulli an, den ihre Tante Silvie gestrickt hat.

nasses Zelt

Gerade als ich die Jacke zuziehe und losfahren will, kommt eine Frau vorbei, mit der ich gestern ein paar Worte gewechselt habe: "Gute Reise und Gottes Segen", wünscht sie mir. Sie sagt es ganz ernst und es klingt aufrichtig. Ich bin angerührt und bedanke mich herzlich. Es gibt also auch noch solche Menschen, denke ich. Die Arbeit hat meinen Blick verzerrt. Fünfunddreißig Jahre Polizei. Keine Schlechtigkeit, keine Niedertracht, keine Gemeinheit und keine Grausamkeit, die ich nicht gesehen hätte und nichts, das ich den Menschen nicht zutrauen würde. Diese Sache mit dem Baby im vergangenen Jahr werde ich niemals vergessen. Niemals. Was ist nur los mit den Menschen?

Vielleicht ziehe ich mich deshalb immer mehr in mich selbst zurück, bleibe allein, konzentriere mich auf meine Reisen, Einsamkeit, das Motorradfahren und auf Pieps. Begegnungen wie diese helfen mir, mich zu erinnern, dass die meisten Menschen gut sind, bloß völlig ahnungslos, und gehen deshalb so tief rein.

Ich starte den Motor und biege vom Campingplatz auf die Straße nach Meran ein. Es geht nur im Schneckentempo voran. Kleine Trecker bringen die Apfelernte ein und behindern den morgendlichen Berufsverkehr.

nasses Zelt

In Meran parke ich das Motorrad auf der Straße vor einem Café. Gerade als ich weggehen will, kommt der Wirt raus, wie der Teufel aus der Kiste, und will mich wegscheuchen, doch es bleibt beim Versuch: "Ich mache nur ein paar Fotos und bin gleich zurück", sage ich und lasse ihn verdutzt stehen.

Italien

Meran ist hübsch. Besonders das Hotel Europa vor der Kulisse der Berge hat es mir angetan. Dennoch finde ich Städte nicht so interessant, wie zum Beispiel die kleinen Dörfer, die ich in Litauen gesehen habe, wo sie lebende Hühner aus dem Auto heraus verkauft haben. Ob ich meine Rolex, oder die Gucci Tasche nun hier in Meran, in Bozen, New York, oder bei eBay kaufe, ist doch einerlei.

Ich halte mich nicht lange auf und fahre bald weiter. Der Wirt des Cafés wirft mir einen ernsten Blick zu und jetzt sehe ich, was er wollte: Das ist eine Fußgängerzone, ich hätte gar nicht reinfahren dürfen. Tut mir leid.

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Hinter Meran werden die Berge höher, die Täler tiefer. Alles strebt auf die großen Pässe zu. Auf jedem Schild sind STELVIO und RESCHEN angeschrieben, 75 km. Der Verkehr wird dichter, alles muss durch dieses enge Tal. Die Apfelernte ist im vollen Gange und die kleinen Trecker mit den langen, schmalen Hängern voller Apfelkisten führen die Kolonne an.

In Oris halte ich vor einer Metzgerei. Speck 9,90 EUR das Kilo. Damit hatten sie mich. Ich stelle das Motorrad neben einem Wohnmobil ab und gehe in den Laden. Das Pärchen aus dem WoMo steht vorm Tresen und kann sich nicht recht entscheiden: "Das ist alles so fett. Haben Sie keinen Speck, der nicht so fett ist?"

Sie sagt es auf diese betont angeekelte Weise, wenn man die Oberlippe so leicht hochzieht. Ich kann das nicht ausstehen. Das sind genau die Typen, die auch Sagrotantücher dabei haben, wenn sie aufs Klo gehen und die Putenaufschnitt kaufen. Ich rolle mit den Augen und auch das Lächeln der Verkäuferin versteinert zusehends.

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Sowie die beiden Sagrotanläppchen verschwunden sind, tausche ich ein "Rolling-Eyes" mit der Verkäuferin. Wie waren die denn drauf? Man fragt sich, was zwei Baumstreichler in einen Laden treibt, der vor seiner Tür mit dem Hinweis wirbt: "SPECK 1kg, 9,9o". Folklore?

Mein Gefühl sagt mir, dass ich heute Abend möglicherweise im geschlossenen Zelt essen werde. Dafür stelle ich einen bunten Teller von Speck und Würsten zusammen. Es ist erstaunlich, wie billig alles ist, das habe ich aus der Schweiz ganz anders in Erinnerung.

Die SS40 ist die Hauptstrecke von Meran in die Schweiz. Im dichten Kolonnenverkehr geht es weiter auf die hohen Berge zu. Diese Art zu fahren mag ich schon zu Hause nicht. Man hat die Wahl zu überholen, bloß um ein Stück weiter vorne in der Schlange zu fahren, oder sich geduldig hinten anzustellen und als Teil einer Blechlawine weiter durch die Landschaft zu rollen. Früher hätte ich überholt: Kolonnenspringen. Aufmerksam! Schert der jetzt aus? Schaff ich den Opel noch? Jetzt schon in die Lücke bremsen? Oh, oh, das wird eng! Sowas mache ich schon lange nicht mehr. Heute bleibe ich stur dahinter.

Plötzlich überholt ein weißer BMW wie blöde und gefährdet sich und alle anderen. Wozu? Jetzt fährt er vier Wagen weiter vorne in derselben Schlange. Ich rechne es kurz durch: Die Kolonne fährt mit 80 Stundenkilo­metern, das sind etwa 20 Meter pro Sekunde, plus/minus. Vier Autos mit Abstand sind etwa 40 Meter. Er wird also gerade einmal zwei Sekunden vor mir am Ziel sein.

Das überzeugt mich: Ich schalte vom Sechsten runter in den Dritten und reiße den Hahn auf. Die Drehzahl schnellt von 5000 auf 7000 hoch und in einem Irrsinnsmanöver mache ich zwei Autos gut. Was Greeny an PS fehlt, mache ich leicht durch Wahnsinn wieder wett. Jetzt hat er nur noch eine Sekunde Vorsprung, der blöde M5. Wenn es überhaupt ein M5 ist und er den Sticker nicht im Supermarkt gekauft hat, aber in Weiß sieht die Karre ohnehin aus wie ein rollender Badezimmerschrank.

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Gerade rechtzeitig noch bemerke ich den Abzweiger zum Stilfser Joch und bremse links ab in die Strada del Passo dello Stelvio. Der BMW rast weiter auf die Schweiz zu. Ich weiß schon, weshalb ich keine stärkere Maschine fahre, dafür bin ich zu jung und zu unbeherrscht. Vielleicht später einmal, wenn ich alt bin. Dreißig, oder so.

Ich sehe in den Rückspiegel. Außer mir ist niemand abgebogen. Die fahren alle weiter in die Schweiz. Von einem Moment auf den nächsten bin ich völlig allein unterwegs. Auf einem blauen Hinweisschild steht: Passo Stelvio, aperto, open, ouvert, geöffnet. Ich bin überrascht, dass es keine Mautgebühr kostet, über den Pass zu fahren.

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Die Straße steigt stetig an, erst sanft und dann immer steiler. Ich überhole einen Fahrrad­fahrer und als ich einen Fotostopp einlege und er wieder an mir vorbeikurbelt, zeige ich ihm den Daumen hoch. Unglaublich, wie jemand solch einen Pass mit dem Fahrrad hochradeln kann. Das muss doch total anstrengend sein. Was treibt diese Typen bloß? Für die knapp fünfhundert Euro, die ein wirklich gutes Fahrrad kostet, könnte er bei OTTO ein Moped anzahlen. Dann bräuchte er wenigstens nicht mehr zu treten.

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Das Stilfser Joch hat 48 Kehren. Ich hab die bisher immer Serpentinen genannt, aber der offizielle Ausdruck in der Sprache dieser Bergtypen lautet wohl Kehre und nicht Serpentine. Wie auch immer sie heißen: Sie sind ein Wunder. Wie ist es möglich, in einen so steilen Felsen eine Straße zu graben? In Schleswig-Holstein wird schon die Straße von Klanxbüll nach Hoddebülldeich als kleines Wunder angesehen, weil der Untergrund moorig ist, aber das hier? Unglaublich!

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In jeder einzelnen Kehre steht ein Schild mit einer Nummer der Kurve darauf. So weiß man immer, wo man gerade ist und wieviele man noch vor sich hat. Die Strecke begeistert mich so sehr, dass ich bei jeder Gelegenheit anhalte und eine kurze Pause mache. In Kehre #35 blicke ich zurück und kann mich kaum sattsehen an der schroffen, abweisenden und kalten Schönheit der Berge.

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Bevor ich weiterfahre ziehe ich den linken Rukka Handschuh aus und dafür einen dünnen Motocross Handschuh über. Damit kann ich während der Fahrt den Fotoapparat bedienen, auch wenn die linke Hand kalt wird.

Mit jedem Höhenmeter wird es kälter, trotzdem friere ich nicht, was auch kein Wunder ist, denn außer dem Snoopie-Nachthemd und einem pinken Minikleid mit Spitze trage ich inzwischen alles, was ich an warmer Kleidung mithabe.

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Die KLX250 mit ihren 22 PS hat keine Mühe, die Passstrecke emporzuklettern. Zwar bin ich nicht so rasant unterwegs, wie die schweren Straßenmaschinen, aber in den Kurven sind wir alle gleich langsam. Greeny kommt ihr winziger Wendekreis von viereinhalb Metern zugute, während die langgestreckten Rennmaschinen auf der Innenseite der Spitzkehren unter ihrer langen Übersetzung leiden und mit schleifender Kupplung darum kämpfen, den Motor nicht abzuwürgen und umzukippen. Keine Seltenheit übrigens, wie ich kurz darauf erfahren soll.

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Auf den kurzen Gerade jedoch reißen sie die Maschinen voll auf: Quickshift, Traction Control, Kurven-ABS, Wheelie Control. Nur die Elektronik hält manche der Piloten am Leben.

Auf dem letzten Stück vor der Passhöhe bedeckt Schneematsch die Straße, ein wider­licher, unange­nehm­er Blubberlutsch aus halbgefrorenem Schnee. Das Thermometer im Tankruck­sack zeigt genau 0° C. Ich bin froh, nicht mit dem Auto unterwegs zu sein. Auf zwei Reifen beträgt die Gefahr ins Rutschen zu kommen genau 50% im Vergleich zu vier Reifen und ist damit doppelt so sicher. Tatsächlich komme ich kein einziges Mal in Schwierigkeiten. Der TKC80 haftet exzellent.

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Auf der Passhöhe steuere ich Greeny in eine freie Lücke zwischen zwei schweren Straßen­maschinen. Eine trägt frische Blessuren auf der rechten Seite. Die Fahrerin hat den Umfaller gut weggesteckt und berichtet, wie es dazu kam. In einer Kehre ging der Motor aus und sie ist nach innen umgekippt. Zum Glück ist nicht viel passiert. Bloß ein kaputtes Blinkerglas und ein wenig angeknackster Stolz.

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Selbst bei diesem Wetter ist auf dem Stilfser Joch eine Menge Betrieb: Viele Motorräder und Autos, darunter mehrere Cabrios, Porsches und sogar ein Ferrari. Ein Moto-Guide von Edelweiß Travel erklärt seiner Reisegruppe aus amerikanischen Geschäftsleuten gerade, welches Glück sie hätten: "We are lucky. It is nearly empty. Because of the cold and snow." Die Amis sind nicht sonderlich beeindruckt. Ich auch nicht.

In all dem Chaos regiert Bruno. Seit 1980 verkauft der Mann, dessen Markenzeichen seine unmögliche Spiegelsonnenbrille ist, Würstchen mit Sauerkraut auf dem Stilfser Joch. Jeder Neuankömmling wird sofort mit der Frage überfallen: "Magscht a Würschtel?!"
Ist der Papst katholisch? Natürlich will ich eine Wurst.

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Bruno nimmt eine der dicken, groben Bratwürste und legt sie auf die Grillplatte. Er schneidet sie der Länge nach auf, drückt, brät, wendet, schneidet, gießt Öl nach und gibt wirklich alles. Ein leibhaftiger Eventkoch in 2.757 Metern Höhe. Allein die Show ist das Geld wert, denke ich anerkennend, während er alles zu einem Hot-Dog montiert, den er mir feierlich überreicht.

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Ich drücke ihm einen Fünfer in die Hand und er sieht mich erwartungsvoll an: Kommt da noch was? Ich starre zurück: "Was ist?" "Sechs Oirro san des." Ich karte einen Euro nach und ziehe mich mit dem fettigen Brötchen an einen der Tische zurück.



Die Texaner aus der Edelweißgruppe sind nun doch völlig aus dem Häuschen: Nicht nur Schnee, sondern dazu auch noch Bratwurst und Sauerkraut. Mehr geht nicht.

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Brunos HotDog Tiroler Art schmeckt gut, obwohl ich keinen großen Hunger habe. Bevor ich aus Meran herausgefahren bin, habe ich in der Imbissbude am Bahnhof schon zwei Bratwürste gegessen. Die waren allerding nur halb so lecker.

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Allmählich wird es voll auf dem Pass. Mehr und mehr Motorräder treffen ein, dazu ein ganzes Rudel Fahrradfahrer. Ich schmeiße die fettige Serviette in einen Mülleimer, sammele die fast ebenso fettige Maus ein und mache mich wieder auf den Weg.

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Eine Stunde später erklimmen wir den nächsten Pass. Die Gegend um die Hochebene ist fast noch wilder und schöner. Passo di Gavia, 2.618 Meter hoch.

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Gaviapass? Nie gehört, aber das bedeutet gar nichts, denn wer kennt zum Beispiel schon Bert Hinkler? Der Typ war Australier und er war nach Charles Lindbergh der zweite Mann auf dem Planeten, der im Alleinflug den Atlantik überquert hat. Er war schneller als Lindbergh und verbrauchte sogar weniger Treibstoff, aber er war eben bloß Zweiter und deshalb kennt heute keine Sau mehr seinen Namen.

Die Kunst liegt darin, diese zweitbesten Ziele zu finden und zu bereisen. Während sich am Premiumziel die Leute die Füße platt treten, ist es einen Klick tiefer beinahe unberüht. Das ist mir schon ein paarmal bestens gelungen.

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Am Nachmittag erreiche ich Camping Presanella. Langsam rolle ich auf den Platz. Große Flächen allerschönstes Rasengrün in Golfplatzqualität. Drumherum ein Panorama aus Bergen, Schnee, Wäldern und schöner Landschaft so weit das Auge reicht. Welch ein Juwel und erstaunlicherweise ist er fast völlig leer. Außer mir nur ein weiteres Zelt, ein Bulli und zwei Wohnwagen.

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Das Camp liegt in 1.150 Metern Höhe. Pro hundert Höhenmetern rechnet man mit einem Grad Celsius Temperaturabfall. Bei der Planung habe ich die Lage absichtlich gewählt, da Italien im September für gewöhnlich noch sehr heiß ist - so hatte man mir gesagt.

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Camping Presanella hat ein einfaches Restaurant und ich bestelle für morgen ein großes Frühstück vor. "Ist das hier immer so kalt?" Mit dieser Frage kann man die Italiener in diesem Herbst prächtig ärgern, denn tatsächlich ist es hier sonst im September noch angenehm warm.

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Gegen Abend sitze ich im offenen Zelteingang, schreibe in mein Tagebuch und nippe gedankenverloren am Rotwein. Das Handy klingelt. Claudia. Wir unterhalten uns über meinen Tag und ich erzähle, dass das Thermometer noch 8,8° C zeigt. Nein, 8,5°. Das Thermometer reagiert sonst eher träge, aber als ich nach fünf Minuten auflege, zeigt es bloß noch 7,9° und fällt schnell weiter.

Ich rufe Pieps vom Spielplatz und wir machen uns fertig für die Nacht. Ich lasse die Leggings an, das Thermoshirt und ziehe darüber das Snoopy Nachthemd. Pieps kuschelt sich in meine Halsbeuge, wo sie am liebsten liegt und wo es schön warm ist.

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Nach zehn Minuten öffne ich den Schlafsack und ziehe auch noch die Fleecejacke über. Ein Königreich für den Winterschlafsack, den Claudie mir geschenkt hat: "Ab minus zwanzig solltest du ein Nachthemd anziehen", hatte sie gesagt. Am Nordkap war er jedenfalls zu warm, aber da war es auch nicht so kalt wie hier.

Nach wenigen Minuten sind Pieps und ich fest eingeschlafen...

zum nächsten Tag...

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Svenja Svendura EndurowandernMade by Svenja Svendura on Apple iMac with Panic Coda and Photoshop Elements.