Das Tor zur Arktis
Auf einer Skala von eins bis zehn ist dieser Morgen eine schwache Drei, wenn eins das verkaterte Erwachen zwischen zwei russischen LKW Fahrern ist und zehn, wenn Dolly Buster mit Entrecote... Lassen wir das, es sind 7° C im Zelt und ich muss aufstehen.
Mit diesen Worten lenke ich das Motorrad vom Campingplatz hinunter auf die Rv861 und fahre weiter nach Norden. Windig, kalt und trocken, dieser Morgen hat eindeutig das Zeug zu einer Vier, vielleicht sogar zu einer Fünf, stelle ich gut gelaunt fest und gebe Gas.
Nach zehn Kilometern endet die Straße am Fähranleger in Botnhamn und wenn ich das richtig einschätze, dann ist der Fjord breit genug, dass es eine Cafeteria an Bord der Fähre geben wird.
"Coffee and Wafler, please", ich komme mir blöd vor, auf Englisch ein norwegisches Wort zu sprechen, aber so steht es auf dem Schild, Wafler, Waffeln.
"You want Jam or brown Cheese?", fragt mich die Bedienung. Süße Waffeln wahlweise mit Marmelade oder braunem Käse gefüllt?
"Brown Cheese, please." Wenn ich die Wahl habe, entscheide ich mich immer gegen die Kohlenhydrate und für das Protein. Während ich die Glaskanne von der Wärmeplatte nehme und einen Becher Kaffee so weit vollschenke, dass ich es gerade noch für nicht unmöglich halte, ihn kleckerfrei durch den Salon zu tragen, legt sie zwei frische braune Waffeln auf einen Pappteller. Ich bezahle und setze mich mit meiner Beute an einen der vielen freien Tische.
Die Waffeln sehen aus, wie große, weiche Kissen, appetitlich gebräunt und mit einem aromatischen Käse gefüllt, der ganz wunderbar schmeckt zu dem süßen Waffelteig. Während ich von dem leckeren Gebäck abbeiße und dazwischen in kleinen Schlucken von dem heißen Kaffee trinke, schaue ich mich um. Außer mir sind nur sechs andere Passagiere an Bord, kein gutes Geschäft für die Fährgesellschaft, auch wenn alle sich reichlich mit Kaffee und Waffeln eingedeckt haben.
In den vergangenen Tagen bin ich mit vielen Fähren gefahren, aber ich weiß noch immer nicht, ob ich sie klasse finde, oder ob sie einfach nerven. Jetzt gerade finde ich es sehr prima, wie ich beim Frühstück über den Fjord geschippert werde, doch andererseits sind sie teuer und kosten viel Zeit. Auf diese habe ich eine volle Stunde warten müssen und die Überfahrt dauert weitere 45 Minuten.
Während ich die Vor- und Nachteile gegeneinander abwäge und in mein Tagebuch philosophiere, fällt ein Schatten auf mich. Ich sehe hoch und da steht ein junger Mann. Er trägt ein hellblau gemustertes Piratenkopftuch, was ihm ein verwegenes Aussehen verleiht, besonders weil ein paar Zotteln seiner blonden Haare frech darunter hervorgucken. Mit dem markanten Gesicht und den Sommersprossen sieht er aus, wie einer dieser amerikanischen MotoCross Stars, wie Ken Roczen vielleicht.
Er trägt ein mobiles Terminal bei sich und ich denke, dass er den Fahrpreis kassieren will, aber das ist nicht der erste Grund, weshalb er an den Tisch gekommen ist. Er möchte wissen, ob ich die Frau mit der grünen Kawa Cross sei, die unten an Deck steht, was ich so lässig wie möglich bejahe.
Er kann es kaum fassen, dass eine Frau, die so alt wie seine Mutter ist, auf ihrer 250er Endurocross mit Zelt und Schlafsack unterwegs ist zum Nordkap und für einen Moment bin ich selbst ganz hingerissen von mir.
"An' you're still ridin' a motocross bike an' doin' all that kinda shit?", fragt er ungläubig und ich weiß für einen Moment nicht, ob ich mich geschmeichelt fühlen, oder gekränkt sein soll. Hey, ich bin nicht tot, ich bin nur über Fünfzig, denke ich.
Der Junge ist ein totaler Motocross Freak und wir entdecken schnell, dass wir ein paar gemeinsame Stars haben. Wir unterhalten uns über den ersten Backflip, der lange Jahre für unmöglich gehalten wurde, bevor Carey Hart ihn im Jahr 2000 bei den X-Games gezeigt hat. Ein cooler Typ, der im Übrigen mit der Sängerin Pink verheiratet ist.
Wir einigen uns sogar auf eine gemeinsame Definition von Wheely: Mindestens drei Gänge auf dem Hinterrad durchschalten und dabei den Lenker einmal von Anschlag zu Anschlag bewegen. Ich bin begeistert, endlich mal ein Typ, mit dem man sich normal über Motorräder unterhalten kann, ohne dass die Leistung der Heizgriffe im Vordergrund steht.
Gerade als der innere Cougar in mir erwacht und die Augen aufschlägt, kommt auch schon der Fähranleger in Sicht. Ich bezahle dem Jungen seinen Fährpreis und schlinge hastig das letzte Stück Waffel herunter. Wann habe ich zuletzt mein Essen vergessen?
Wenn ich doch nur jünger wäre und mein Genick noch heil, dann könnte ich all die coolen Stunts noch einmal fahren und ein paar Neue ausprobieren. Ich bin heute viel erfahrener, als in meinem ersten Leben und könnte mir außerdem viel besseres Material leisten.
Als ich die Eismeerkathedrale in Tromsø das letzte Mal gesehen habe, war tiefer Winter und ich saß im Abendkleid an Bord der MS Lofoten beim Buffet. Jener Abend ist mir aus mehreren Gründen unvergesslich und nicht alle davon sind angenehm.
Die geschuppte Konstruktion der Kathedrale erinnert an Eisschollen, die sich übereinander geschoben haben, ein Eindruck, der schnell verloren geht, wenn man näher kommt. Als ich direkt davor stehe, ist die Illusion verschwunden und was bleibt ist Beton.
Dennoch ist diese Kirche beeindruckend, denn sie passt genau hierher, schließlich wird Tromsø als das Tor zur Arktis bezeichnet. Alle großen Polarexpeditionen von Amundsen bis Nansen haben hier ihren Ausgang genommen und wer zum Nordpol wollte, hatte hier die letzte Gelegenheit, Brennstoff und Proviant aufzunehmen.
Am Rand des Marktplatzes steht ein Kiosk mit einem Zwiebeldach aus Kupfer, der meine Aufmerksamkeit weckt. Leider finde ich keinen Hinweis darauf, wie alt das kleine Gebäude ist. Heute ist darin ein Ticketschalter untergebracht. Tromsø ist die nördlichste Universitätsstadt der Welt, aber weil außer dem Campus, der Kälte und den Rentieren wenig geboten wird, besteht ein gewisser Bedarf für Abwechslung jeder Art.
Für einen Moment überlege ich, dem Polarmuseum einen Besuch abzustatten, das in dem kleinsten der vier Gebäude untergebracht ist, einem roten Holzbau mit drei Etagen, aber ich habe heute noch eine weite Strecke vor mir und fahre lieber weiter, denn bis Alta sind noch 300 Kilometer und zwei weitere Fährpassagen zurückzulegen.
Die E6 steigt seit einigen Kilometern leicht an. Ich merke das, weil die Kawasaki sich schwerer tut und ich erst in den fünften und dann in den vierten Gang zurückschalte. Die Baumgrenze liegt schon ein Stück hinter mir, als die Straße über ein Fjell führt.
Oben halte ich an, ziehe die Handschuhe aus und klaube mit steifen Fingern den Fotoapparat aus der Brusttasche meiner Endurojacke. Der Blick auf das Polarmeer und die schneebedeckten Gipfel in der Ferne ist atemberaubend, aber ein schneidender Wind treibt mich schnell wieder aufs Motorrad und weiter meinem Ziel entgegen.
In Burfjord fahre ich an einer STATOIL Tankstelle vorbei. Während das Schild "Kafe E6" allmählich aus dem Rückspiegel verschwindet, überlege ich, ob ich anhalten soll. Greeny braucht noch kein Benzin und wenn ich noch einen weiteren Becher Kaffee trinken soll, dann breche ich in meinen Helm, aber ein wenig Wärme und Gesellschaft wären nicht schlecht. Ich stoppe, wende und fahre zurück.
Nein, für heute reicht es. Ich rufe meine Freundin Claudia in Kiel an und bitte sie, mir einen Campingplatz in der Nähe zu suchen. Claudie ist auf Google Maps und in StreetView zuhause und verspricht zurückzurufen, wenn sie etwas gefunden hat.
Ich stelle das Motorrad ab und gehe zu Fuß ein paar Schritte, um mich umzusehen. Dichte grüne Wiese bedeckt den Platz und das Gras auf den Stellplätzen ist sorgfältig geschnitten. Der Blick auf den Fjord mit schneebedeckten Gipfeln im Hintergrund ist von so erhabener und kühler Schönheit, dass ich den Mann zuerst gar nicht bemerke, der mich jetzt von der Seite anspricht:
"Hej. You're looking for a place to stay?"
"Yes, I'd like to put up a tent for the night"
"Ok, you choose a place by yourself and come to the reception afterwards to check in. But choose carefully, heavy rainfall is expected for tonight. I would recommend one of the places up there," sagt der Norweger und deutet auf einen der Plätze oben am Zaun.
Als ich den Tankrucksack öffne, kommt mir bereits der Biergeruch entgegen und eine gewisse Maus vergnügt sich sichtlich in ihrem Bierbad. Die Carlsberg Dose hat einen haarfeinen Riss bekommen, durch den mit hohem Druck etwas Bier herausgespritzt ist. Ich hätte die Schotterpiste vielleicht etwas ruhiger angehen sollen, denke ich und setze Pieps zum Trocknen in die Abendsonne, während ich ein völlig durchnässtes Halstuch über die Wäscheleine hänge, die ich wie immer zwischen Zelt und Motorrad gespannt habe.
Ich nehme meine Sachen und gehe hinüber zur Rezeption. Als ich auf das Display meines Handys sehe, bemerke ich eine SMS von Claudie, in der sie mir Arctic Fjord Camping empfiehlt. Sogar eine kurze Wegbeschreibung hat sie getickert. Lachend rufe ich sie an und erzähle, dass ich ebendort gerade mein Zelt aufgebaut habe.
Die Hütte, in der die Rezeption untergebracht ist, bietet zugleich einen Aufenthaltsraum für die Camper. Der Platz ist auch im Winter geöffnet und dann ist jeder Schutz vor dem Wetter sicher besonders willkommen. Die Hütte ist mit Holzmöbeln, Stehtischen und neuen Gardinen gemütlich eingerichtet und sogar ein Fernsehgerät hängt an der Wand.
Nachdem die Anmeldung erledigt ist, setze ich mich an einen Tisch und breite die Landkarte aus. Ich hatte unterschätzt, wieviel Zeit die drei Fährpassagen kosten und jetzt fehlen mir hundert Kilometer zu meiner Tagesetappe. Genau 3000 Kilometer bin ich seit Kiel gefahren und zum Nordkap sind es noch einmal weitere 500 Kilometer.
Inzwischen bin ich geneigt, den Abstecher vom Nordkap zur russischen Grenze bei Kirkenes auszulassen. Das wären noch einmal 500 Kilometer und auch wenn es schön wäre, Kirkenes wiederzusehen, so ist an der russischen Grenze wenig zu entdecken und das Fotografieren des Grenzpostens ist ohnehin verboten. Ein Verbot, das von Norwegern und Russen gleichermaßen streng überwacht wird.
Während ich schreibe, kalkuliere, rechne und notiere, höre ich Motorengeräusche näher kommen. Unzweifelhaft Motorräder, denke ich und schaue durchs Fenster hinaus. Drei schwere Maschinen kommen den Schotterweg herunter und halten vor der Rezeption. Zwei Yamahas und eine Suzuki Bandit 1250, alle sehr gute Reisemaschinen.
Die Jungs darauf dürften ungefähr in meinem Alter sein und ihr Gepäck ist beendruckend. Jeder von ihnen hat sicher zwei bis dreimal soviel an Bord, wie Greeny, Pieps und ich. Ballkleider, vermute ich.
"No, we don't have any free cabins", erklärt der Norweger gerade, als ich dazukomme. Bevor die Drei ihre Maschinen wenden und sich wieder auf den Weg machen, erfahre ich noch, dass sie auf dem Rückweg vom Nordkap sind. Wie es dort war, möchte ich wissen. Nass, nebelig, 4° C, lautet die knappe Antwort. Gute Reise und kommt sicher nach Hause, winke ich den Dreien hinterher, die in einer Staubwolke zurück zur E6 fahren.
Schade, es wäre schön gewesen, mal neben anderen Bikern zu campen und sich abends zu unterhalten und ein wenig Benzin zu reden. Nun, dann eben nicht, denke ich zickig und klappe das Tagebuch zu. Jetzt gibt es erst einmal ein megamäßiges Abendessen.
In dem Supermarkt bei Tromsø habe ich mir nämlich 650 g frischer Schweinekoteletts mit einem Mörder Fettrand gekauft. Eine Portion, von der eine alleinstehende ältere Dame satt werden sollte, denke ich vergnügt und baue den Kocher in der Apsis auf, während ich mit dem Dubs auf der Isomatte sitze.
Morgen fahre ich nach Hammerfest, die nördlichste Stadt der Welt, und dort werde ich den Eisbärenclub besuchen. Hier auf dem Campingplatz geht es jetzt nur noch ins Waschhaus, Geschirr, Pieps und Svenja waschen und dann ab in die Heia.
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