Trollstigen
Frühstück fällt heute leider aus. Es sieht so sehr nach Regen aus, dass ich lieber rasch das Zelt abbaue, denn nichts ist ätzender, als auf dem Boden zu hocken und Heringe aus der Erde zu ziehen, während es einem pausenlos in den Nacken regnet.
Vom Camp aus fahren wir Richtung Andalsnes. Der Ort am Isfjord ist der Ausgangspunkt für die Fahrt über den Trollstigen. Viele Kilometer verläuft die Straße dicht am Fjord, zuerst am Langfjord und dann Romsdalsfjord entlang, die bis zu 430 m tief sind.
Während das gute Super in den Tank der Honda gluckert beobachte ich mit großem Interesse zwei Motorradreisende aus Italien. Beide ältere Herren und eher in die Breite als in die Höhe gewachsen. Nach kurzer Beratung stiefelt einer in den Shop, um Kaffee zu holen, während der Andere Wache hält und auf Motorräder, Helme und Gepäck aufpasst.
Als ich an ihm vorbei gehe, sagt er etwas zu mir, aber ich spreche leider kein Wort Italienisch und er nichts anderes. Wir lächeln uns freundlich und ein wenig verlegen an, wie das so ist, wenn man kurz stehenbleibt, dann merkt, dass man sich nicht verständigen kann und schließlich verschämt weitergeht.
So gerne würde ich sagen: „Ihr könnt ruhig beide reingehen und Kaffee trinken. Eure Motorräder, die Helme und das Gepäck werden noch da sein, wenn ihr zurückkommt. Das ist Norwegen. Hier ist es sicher.“
Nicht zum letzten Mal auf dieser Reise werde ich das tiefe Misstrauen beobachten, mit dem Italiener sich in der Fremde umgeben, aber das kann ich jetzt noch nicht wissen.
20 km hinter Andalsnes beginnt der Trollstigen. Er führt durch elf Kehren bis zur Passhöhe in 700 Metern. Was in Österreich kaum mehr als eine kleine Erhebung in der Landschaft wäre, ist hier im Norden eine ernst zu nehmende Bergstrecke, die nur wenige Monate im Jahr befahrbar ist.
Nein, Pieps und ich werden vorerst weiter mit Motorrad, Zelt und Bratpfanne durch die Welt reisen. Wenn man bedenkt, dass ein neues, voll ausgestattetes Wohnmobil bis zu 40.000 Euro kosten kann, finde ich es ohnehin bemerkenswert, wie viele es davon gibt. Es kann doch unmöglich hinter jedem Lenkrad ein pensionierter Oberstudienrat in Birkenstocks sitzen? Oder eben eine pensionierte Kriminalbeamtin?
Die besten Zelte, die man für Geld kaufen kann, sind meiner Ansicht nach die von Hilleberg, aber selbst ein Black Label wie das Staika kostet nur etwas über tausend Euro. Und das steht selbst dann noch, wenn der Campingwagen vom Platz nebenan bereits vom Winde verweht ist.
Für Ferienreisen habe ich mein bewährtes Salewa Denali III, und für Abenteuer im hohen Norden das Exped Orion II Extreme, das hinter mir im Zeltsack liegt. Und sollte ich eines Jahres doch einmal nicht mehr so geschmeidig aus dem Zelt kommen, dann steige ich um auf Hüttencamping. Das ist der Plan.
„Aber noch sind wir jung“, denke ich und ignoriere die Schmerzen in der rechten Schulter, die ich manchmal bekomme, wenn ich bei Kälte zu lange auf dem Motorrad gesessen habe.
Es ist das dritte Mal, dass ich über den Trollstigen fahre, einmal bei Sonne und zweimal im Regen, was in etwa der Verteilung der Regentage auf meinen Norwegenreisen entspricht.
Eines Jahres werde ich hier anhalten und ein Foto machen. Heute aber tue ich, was Svenja eben tut, wenn sie auf Reisen ist: Kurz Gas wegnehmen, das Visier öffnen, einen anerkennenden Blick in die Landschaft werfen und ohne anzuhalten weiterfahren. Und nein: Ich verstehe mich manchmal auch nicht.
Das Café ist geschlossen. Eine Schneelawine hatte im April die gesamte Glasfront eingedrückt und die Inneneinrichtung zerstört. Mit Spanplatten wurden die Fensterlöcher notdürftig abgedichtet. Die Gebäudeschäden sind erheblich. Es wird noch eine Weile dauern, bis hier wieder Kaffee und Waffeln serviert werden.
Daneben gibt es den Souvenirshop, einen Laden voller Schneekugeln, Schlüsselanhänger und geschnitzter Trolle in allen Größen. Ich brauche nichts, aber wenn ich aus dem Regen möchte und mich nicht auf dem Klo einschließen will, ist der Shop die einzige Möglichkeit dazu. Der Laden ist mir lieber. Mit gespieltem Interesse betrachte ich einen besonders hässlichen Troll, damit nicht auffällt, dass ich mich nur aufwärmen will.
Der Laden ist brechend voll. Eine Gruppe Italiener schiebt sich durch die schmalen Gänge, aufgeregte Menschen von mittlerem Wuchs, die sich pausenlos anbrüllen, jeder Satz eine lautstarke Auseinandersetzung. Es besteht keine Gefahr, sie mit Skandinaviern zu verwechseln.
Einen Gang weiter entdecke ich eine Softshelljacke in neon pink mit weißem Kuschelpelz und einer Norwegenflagge am Ärmel. Die ist so schön und nicht mal teuer. Ich will sie schon zur Kasse tragen, als im letzten Augenblick die Vernunft einsetzt: Ich habe nämlich keine Ahnung, wo ich die verstauen sollte und drunterziehen geht auch nicht, denn ich sehe jetzt schon aus wie das Michelinmädchen.
Mit Bedauern hänge ich die schöne Jacke zurück und trete - ebenfalls mit Bedauern - wieder hinaus in den Regen. Ich bin trocken eingepackt und im Grunde macht es wenig aus, aber Sonne wäre mir trotzdem lieber.
In Valldal kommen wir zurück in die Zivilisation. Es gibt einen Supermarkt, eine Tankstelle und einen Schnellimbiss. Mehr braucht kein Mensch.
So viele Fragen und die Bedienung versteht kein Wort. Allgemeine Hilflosigkeit macht sich breit. Die junge Frau hinterm Tresen wirft den Beiden einen gekonnten Wednesday-Addams-Blick zu.
Für Pieps und mich bestelle ich Pølser og Chips, Würstchen mit Pommes. Die Würstchen sehen künstlich aus und erinnern mich an die Bratwürste in Island. Ein Brei aus geriebenen Schweinenasen und Rinderhufen im Plastikdarm. Nicht sehr lecker, aber wir haben Hunger und die Würste sind heiß, hinreichend fettig und machen satt. Die Portion Pommes Frites ist so winzig, wie ich es aus Norwegen gewohnt bin. Jedes Stäbchen zählt. Mit Heißhunger schlingen wir das heiße Fast Food in uns hinein.
„Hello?!“
„Hi. I'm standing at the reception and would like to book a small cabin like no. 2 for one night.“
„No. 2 is already booked, but I'd give you no. 3 for the same price.“
„Which is?“
„400.“
„Ok. I'll take it.“
Die Zeltwiese ist so durchweicht, dass sich erste Pfützen im Gras bilden. Das erinnert an die schlimmste Regenreise aller Zeiten, den Sommer in Nordirland. Ich bin heilfroh, dass eine Hütte frei ist und der günstige Preis von 40 Euro ist eine willkommene Überraschung.
Zum Abendessen brate ich uns ein volles Pfund Lachs mit Haut. Nie war er leckerer als heute, und zum Nachtisch habe ich sogar eine Dose Bier.
Für heute sage ich „Gute Nacht, Welt.“
Das war so ein Tag
zum nächsten Tag...
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