Inhaltsverzeichnis Norwegen 2022 Tag 1 Kiel - Oslo Tag 2 Oslo - Lillehammer Tag 3 Peer Gynt Vegen Tag 4 Jotunheimvegen Tag 5 Slettefjellvegen Tag 6 Slådals- u. Einunndalsvegen Tag 7 Trontoppen u. Gammeldalen Tag 8 Røros Tag 9 Aursjøvegen Tag 10 Trollstigen Tag 11 Geiranger, Gamle Strynfjell Tag 13 Stabkirche Urnes Tag 14 Tindevegen - Snøvegen Tag 15 Hardangervidda Tag 16 Vrågåvegen Tag 18 Vikersund - Oslo - Kiel
Auf dem Vrågåvegen
Bei strahlendem Sonnenschein rausche ich an der Circle-K Tankstelle in Geilo vorbei. Das Logo strahlt mit dem Himmel um die Wette. Heute geht es am Ostrand der Hardangervidda nach Süden.
Geilo ist eine Stadt buchstäblich im Nirgendwo. Kaum ist man aus dem Ort raus, sind da nur noch die grandiose Natur, der starke Wind und eine gewisse Kühle, auch wenn es im Sommer durchaus 17° werden können.
Überhaupt, dieser Wind. Er schiebt die Wolken weiter, aber die Temperatur steht wie angenagelt bei 8.3 °C. An einem Flussufer halte ich an und ziehe die dicken Handschuhe an. Ein böiger Wind lässt die Bäume rauschen und kräuselt das Wasser auf dem Fluss.
Eine halbe Stunde hinter Geilo komme ich zur Torsetlia Fjellstue. Ob es hier einen Morgenkaffee zum Aufwärmen gibt? Nein, leider geschlossen. Das Mountain Café ist nur für eine Woche im Februar geöffnet und über Ostern. Ich versteh's nicht.
Die Strecke mit ihrer Aussicht über die Hardangervidda ist grandios. Aus jeder Kehre habe ich einen tollen Blick ins Tal. Lediglich ein paar weiße Wolken dümpeln bedeutungslos dahin.
Ich bin erstaunt, wie wenig Verkehr heute Morgen auf dem Fjell ist. Von vorn kommt eine Yamaha FJR1300 entgegen, ein toller Reisetourer. Der Beifahrer grüßt freundlich und ich winke gut gelaunt zurück.
Plötzlich führt die Straße auf den Damm eines Stausees.
Der Sønstevatn liegt im äußersten Osten der Hardangervidda in 1100 m Höhe. Von ihm bekommt das Kraftwerk Uvdal sein Wasser.
Bei Austbygda biegt der Track scharf links ab in den Skirvedalsvegen. Ich halte die Honda im dritten Gang bei mittlerer Drehzahl. Die schmale Straße führt hinauf in ein Waldgebiet und schon bald sind wir zwischen Bäumen verschwunden. Über eine alte Brücke geht es tiefer in den Wald.
Am höchsten Punkt der Straße öffnet sich der Blick zu einer überwältigenden Aussicht über den Rand der Hardangervidda. Ich halte an und bleibe staunend stehen. Der Blick ist zu schön, um einfach durchzufahren.
Die malerische Farm mit dem alten Bauernhaus gehört schon zu Rollag. Der Ort ist mir nur im Gedächtnis geblieben, weil hier unsere Piste zur Endurowanderung des Tages beginnen soll, der Vrågåvegen.
Ich rolle im vierten Gang mit wenig Gas die Dorfstraße entlang, als unverhofft eine Stabkirche vor uns auftaucht. Zwei norwegische Flaggen leuchten davor in der Sonne und auf einer Klapptafel wird eine Führung angeboten.
Der Sandparkplatz vor der Kirche ist noch völlig leer. Zwei Jungs von höchstens 20 Jahren sitzen auf der Treppe vorm Haus und warten auf Besucher. Das will ich mir ansehen. Ich stelle die Honda an der Kirchenmauer ab und stiefele durchs Tor.
„Good Morning. I'd like to have the guided Tour, please.“ „That's 100 Krona and we can start right away.“
Die Beiden sind noch Schüler und verdienen sich ein Taschengeld dazu, indem sie Touristen die Kirche aufschließen und eine Führung anbieten. Ich bin die einzige Teilnehmerin heute Morgen und bekomme eine Einzelführung, wie seinerzeit in Falun.
Der jüngere der Beiden ist sichtlich aufgeregt, dass nun ihre erste "echte" Kundin die Tour gebucht hat.
Der Ältere weiß viel über die
Stabkirche Rollag
zu berichten. Viele, viele Informationen prasseln auf mich ein. Nach einer Weile schalte ich ab und gebe nur noch in passenden Abständen ein „Hmmm, I see, Oh, really? That's interesting", von mir.
Ich bin ein Kulturbanause, das wird mir heute aufs Neue klar.
Doch es ist schön, das alte Holz zu berühren und die Schnitzereien und Malereien anzuschauen. Wenn das Wissen der Welt in meinen Händen läge, wären wir verloren. Ich könnte allenfalls etwas übers Endurowandern und Zelten beisteuern, und natürlich die perfekte Packliste für Minimalisten liefern.
Irgendwann habe ich genug vom Besichtigen, Zuhören und Bestaunen. Ich bedanke mich überschwänglich bei den beiden Guides und mache mich wieder auf den Weg. Heute steht noch eine Schotterpiste auf dem Plan, der Vrågåveg, etwa 30 km zum Endurowandern.
Kurz hinter Rollag rolle ich an die Bomstasjon, hier beginnt die Piste.
Sowie die Schranke oben ist und ich die Kreditkarte wieder in der Jacke verstaut habe, gebe ich engagiert Gas. Die ersten Meter führen an einem Bauernhof vorbei und verschwinden dahinter im Wald.
Ich heize auf der Honda Rally die Piste entlang, als wäre ich noch süße 50. Bin ich aber nicht, sondern weit weniger süße 60, doch ich bin so glücklich, dass ich am liebsten rasen, schottern und driften möchte, als gäbe es kein morgen. Gibt es aber.
Endurowandern soll schließlich kein wildes Crossen sein, sondern ein genüssliches Motorradfahren auf legalen Naturpisten. Soweit die Theorie. Ich muss mir das unbedingt ausdrucken und als Gebot auf den Lenker kleben, so wie seinerzeit den Sticker „Drive left!“ für Schottland.
Die Vrågåvegen fährt sich famos, ist kurvig, hügelig, führt durch Wald und auf kleinen Brücken über Bäche. Er erinnert mich 1:1 an die Fahrt durchs Gammeldalen. Das war auch ein mir völlig unbekannter Weg, der dann überraschend viel Spaß gemacht hat.
Und wie im Gammeldalen ziehe ich auch hier eine mächtige Staubwolke hinter mir her.
Ich kann mich ohnehin nicht erinnern, Norwegen jemals anders, als staubig, trocken und warm erlebt zu haben.
An der zweiten Bomstasjon endet der Vrågåvegen. Ich mache eine kurze Pause, um wieder runterzukommen. Manchmal ist mir das Endurofahren über, wenn es endlos durch Regen und nassen Dreck geht und man die Piste nur abreitet, ohne Genuss von der Strecke und der Landschaft zu haben.
Heute war es wieder einmal so, wie es sein soll: „Endurowandern?
Find ich noch immer gut.“
Natvedt Camping am Ufer des Tyrifjorden liegt nur noch 75 km von Oslo entfernt. Dort geht in zwei Tagen unsere Fähre zurück nach Kiel. Ich lasse die Honda vor der Rezeption ausrollen und gehe hinein. Eine Dame, etwas jünger als ich, checkt mich ein und erklärt mir geduldig den Platz.
Im Hintergrund werkelt ein älterer Mann, Karohemd, Vollbart, ungepflegt, Typ Waldschrat. Er scheint der Chef zu sein. Heute ist Samstag und ich frage die Dame am Tresen: „Is there a supermarket nearby, that will be open tommorrow?“
„In Norway we are so lucky not having to work on Sundays. All shops will be closed“, mischt sich der Waldschrat ungefragt ein.
Das stimmt nicht. Ich habe hier schon mehrfach am Sonntag eingekauft. Viele Supermärkte in Norwegen sind an Sonn- und Feiertagen geöffnet, nur wenige bleiben geschlossen. Laut sage ich: „Ah, ok. I understand.“
„You don't have to understand. You just have to accept it!“, belehrt mich der Schrat in einer Wolke aus Verachtung und Achselschweiß. Wäre der Typ ein Wein, würde ein Sommelier ihn beschreiben als „shitty with overtones of failure and poor life decisions". Was stimmt nicht mit dem?
Der Dame am Tresen ist es sichtlich unangenehm, aber sie ist klug genug, sich nicht einzumischen. Ich bedanke mich freundlich für die Auskunft und mache mich auf die Suche nach einem Platz für unser Zelt.
Der Campingplatz ist im Grunde ganz prima, man hat von überall einen guten Blick über den Fjord. Schwierig ist es nur, einen halbwegs geraden Platz zu finden, damit man nachts nicht aus dem Bett rollt.
Zum Abendessen gibt es Lammkoteletts.
Die kleinen Biester werden in der Pfanne ganz köstlich und das spritzende Öl überdeckt die jüngste Schicht Fischfett auf dem Innenzelt. Damit darf ich niemals im Bärengebiet zelten, die wittern uns schon aus 10 km Entfernung