Inhaltsverzeichnis
Norwegen 2022
Tag 1 Kiel - Oslo
Tag 2 Oslo - Lillehammer
Tag 3 Peer Gynt Vegen
Tag 4 Jotunheimvegen
Tag 5 Slettefjellvegen
Tag 6 Slådals- u. Einunndalsvegen
Tag 7 Trontoppen u. Gammeldalen
Tag 8 Røros
Tag 9 Aursjøvegen
Tag 10 Trollstigen
Tag 11 Geiranger, Gamle Strynfjell
Tag 13 Stabkirche Urnes
Tag 14 Tindevegen - Snøvegen
Tag 15 Hardangervidda
Tag 16 Vrågåvegen
Tag 18 Vikersund - Oslo - Kiel
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Die älteste Stabkirche

Wir sind auf dem Weg zurück nach Olden. Das Oldendal, an dessen Ende der Gletscher liegt ist eine Sackgasse von 22 km Länge. Seit wir losgefahren sind, kommt uns ein Reisebus nach dem anderen entgegen.

Motorradtour nach Norwegen

Falls es je einen Zweifel gab, ob auch heute wieder ein großer Kreuzfahrer in Olden liegt und hunderte, wenn nicht tausende Passagiere ins Land entlässt, ist er spätestens dann beseitigt, als uns der Glacier Express und die Bimmelbahn entgegenkommen. Im Oldendal herrscht Hochbetrieb.

Die lustigen kleinen Ausflugsbahnen gibt es in verschiedenen Farben. Weiß, gelb und rot hatten wir schon. Der jüngste Passagier ist etwa in meinem Alter und alle sind sie unterwegs zum Briksdalsbreen.

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Mich plagt das schlechte Gewissen, weil ich nicht am Gletscher war, aber mir hat der Blick vom Campingplatz gereicht. Mit der Enduro wären es nur zwei, drei engagierte Schotterdrifts und fünf Minuten Spaß bis ans Eis, aber weil das verboten ist, bleibt nur ein Fußmarsch von einer Dreiviertel­stunde. Keine Ahnung, ob handelsübliche Füße überhaupt für solche Strecken ausgelegt sind.

Ich beruhige mein Gewissen mit dem tröstlichen Gedanken: „Hast du einen Gletscher gesehen, hast du alle gesehen.“

Schon aus einiger Entfernung entdecke ich das gewaltige Schiff, das an der Circle K Tanke festgemacht hat. Auf den ersten Blick wirkt es, als wenn der Kahn dort zum Volltanken liegt: „Two Million Liters of Diesel, please. Pump No.5“. Aber dazu müssten sie den Schlauch quer über die Straße legen und ich glaube auch nicht, dass überhaupt genug Diesel im Tank ist.

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Die Sky Princess ist eines von sieben Kreuzfahrtschiffen der Royal Class. Mit ihren 19 Decks für 3.600 Passagiere wird das Riesenschiff nur von den umliegenden Bergen überragt. Der Dampfer liegt vor Olden wie ein Wal in der Badewanne. Allerdings ist die Wanne über 500 Meter tief.

Olden hat 479 Einwohner und je nach Zählweise sechs oder sieben Straßen und etwa drei Dutzend Häuser. An diesem Morgen wird der kleine Ort geradezu überflutet von Fußgängern, E-Bikes und den grünen Renault Twizys einer Mietwagenfirma. Ein absoluter Irrsinn, beeindruckend und bizarr zugleich.

Ich parke die Africa Single bei Circle K und gehe in den Laden. Heute haben wir an der Tanke nicht für Benzin, sondern für Bratwurst angelegt. Pieps quengelt mir schon den ganzen Morgen die Ohren voll: „Nur wann kann ich enklich eine so'ne Bratwoost mit Speck?“ „Jetzt, mein Schatz.“

Zu unserem Unglück stellt sich heraus, dass die Bratwürste noch nicht gegrillt wurden. Es ist wohl schlicht zu früh dafür, doch die nette Dame hinterm Tresen bietet an, die Würste in die Fritteuse zu werfen. Tolle Idee! Ich mag Menschen, die im Job lösungsorientiert arbeiten.

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Minuten später sitzen wir draußen beim Frühstück und sind uns einig, dass man Bratwürste niemals anders als in der Fritteuse zubereiten sollte. Besonders solche nicht, die mit Speck umwickelt sind.

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Vor uns liegen noch fünf Tage Urlaub, aber nur vier Fahrtage. In einem Camp können wir einen Jokertag einlegen. Aber in welchem? Eine klassische 17 und 4 Situation. Man möchte das Optimum herausholen ohne sein Blatt zu überreizen. Wenn ich bis zum letzten Camp warte und ausgerechnet das dann shice ist, bin ich angeschmiert. Dieses Problem werden wir lösen, wenn es soweit ist.

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Auf dem Fylkesvei 60, der Kreisstraße 60 düse ich genüsslich am Fjord entlang. Plötzlich ein Stau. Vorsichtig tuckere ich auf der gelben Linie ganz nach vorne und stelle mich vor das erste Auto, einen Reisebus mit Kreuzfahrern an Bord, wie mir ein Passagier erzählt.

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„Warum stehen wir eigentlich hier“, will ich wissen? „Wir warten auf das Ledebil.“ Im Tunnel gibt es eine 6 km lange Baustelle. Nach einer langen Viertelstunde kommt das Ledebil aus dem Tunnel gefahren und zieht eine schier endlose Schlange von Autos, Wohnmobilen und Reisebussen hinter sich her ans Licht.

Jetzt sind wir dran. Das Ledebil wendet und der Tross setzt sich langsam in Bewegung. Wie ein Planwagentreck mit Siedlern, der vom Treckführer durch Indianergebiet geführt wird, fahren wir langsam durch die Baustelle.

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Wer unter Tunnelangst leidet, wird in Norwegen nicht glücklich werden. An manchen Tagen habe ich das Gefühl, mehr Zeit unter Tage als am Licht zu verbringen, Kilometer um Kilometer, eine Tunnelröhre nach der anderen, manche über 6 km lang.

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Nach vielen Kilometern auf dem makellosen Asphalt der E5 biegen wir rechts ab nach Solvorn. Von dort geht eine kleine, eine wirklich winzige Fähre über den Lustrafjord hinüber zur Stabkirche Urnes.

Beschreibung Heißt die Kirche nun Urnes oder Ornes? So ganz habe ich das nie verstanden. Jeder sagt das anders. Bis ich den Wegweiser entdecke und es endlich kapiere: Die Stabkirche Urnes liegt im kleinen Ort Ornes. Jetzt wissen wir das.

An die Strecke runter zur Fähre kann ich mich noch gut erinnern. Hier bin ich schon einmal mit Greeny langgedüst, als wir auf dem Weg zum Nordkap waren. Eine tolle Reise!

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In seliger Erinnerung schwelgend schwinge ich die schmale Kurvenstraße entlang, als plötzlich ein Linienbus um die Kurve kommt, der 2047er nach Gunvordal. Meine Güte, das ist eng, aber wie alle norwegischen Busfahrer beherrscht er sein Auto perfekt und rasiert millimeterscharf an der Kante entlang, so dass ich knapp vorbeischrammen kann. Puh, jetzt bin ich wieder hellwach.

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Die Dorfstraße durch Solvorn führt an vielen farbigen Holzhäusern vorbei, eines malerischer als das andere. Welch ein hübsches Dorf, aber für mich ist es heute nur der Fährhafen hinüber zur Stabkirche. Eines Jahres muss ich hier mal anhalten und mich umsehen, aber vielleicht überlasse ich das auch den Motorrad-Kulturreisenden.

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Ich rolle auf den Parkplatz am Fähranleger gerade als die Verladung beginnt. Wobei Verladung ein großes Wort ist für die kleine Handvoll Autos, die auf die Fähre passen. Der Bootsmann, ein Hühne von einem Mann geht von Auto zu Auto und kassiert den Fahrpreis.

„Can I pay VISA-Card?“
„Yes. We only pay Card. So, seventyseven.“

Ich halte die Karte vor das Lesegerät, das in der Hand des großen Mannes geradezu winzig erscheint, es piept und der Fahrpreis ist entrichtet.

„When you get on Board, you have to turn your bike facing forwards and park under the Urnes Sign in Front of the Wheelhouse.“

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In Ornes muss man sein Auto rückwärts aufs Schiff steuern. Für manche ist es keine leichte Aufgabe, nur nach Spiegeln rückwärts über die schmale Holzrampe an Bord zu manöverieren, zumal die Autos jedes Jahr breiter werden.

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Als der schwarze BMW vor mir sich endlich sortiert hat, fahre ich mit der Enduro an Bord, stelle den Motor ab und parke die Honda Rally rückwärts unterm Steuerhaus. Das Deck ist etwas abschüssig und ich benutze bei eingelegtem Gang die Kupplung zum Bremsen.

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Hinter mir rollt eine graue BMW RT mit französischen Kennzeichen an Bord. Das Motorrad ist mit einer geradezu irrwitzigen Menge an Gepäck beladen, und als wenn drei Koffer, eine 100 l Rolle und drei kleinere Gepäckrollen noch nicht genug wären, sind links und rechts noch je ein Plastikeimer montiert.

Die Neugier frisst mich auf, ich muss es wissen: „What's in there?“, frage ich den Graubart mit einem freundlichen Lächeln. Er nimmt einen der Eimer vom Motorrad, stellt ihn aufs Deck und nimmt den Deckel ab.

Er ist bis obenhin voller Tüten mit Fertignahrung, Nudelgerichten, Reis und irgendwas mit Couscous. Ich habe so viele Fragen, aber leider reichen weder mein Französisch noch sein Englisch dafür aus. Schade.

Von der Anlegestelle geht es einen Kilometer steil bergauf zur Stabkirche. Man soll sein Fahrzeug unten abstellen und zu Fuß hochwandern, weil oben wenig Platz ist, aber für Motorräder gilt das nicht, die finden immer einen Platz.

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Auf einem Schild steht, dass man eine Führung buchen muss, wenn man die Kirche besichtigen möchte. Das ist neu, aber die zehn Euro sind sicher gut angelegt denke ich, als ich im Haus nebenan ein Ticket kaufe.

Ich stehe oben am Eingang zum Kirchhof und warte auf den Beginn der Führung. Ein kurz gewachsener Mann kommt den Berg zur Kirche herauf. Er trägt eine roten Weste GUIDE, einen Vollbart und eine Frisur wie Ragnar Lothbrok in der dritten Staffel von Vikings. Viel mehr aber erinnert er mich an Leonard Hofstadter aus Big-Bang-Theory. Die gleiche Größe, das gleiche sympathische, kluge Gesicht.

In meiner Endurojacke mit der BodyCam und dem dicken schwarzen Selfie-Stick als Schlagstock, sehe ich dagegen aus wie ein gealterter Kaufhaus-Cop auf Cortison.

In diesem Moment überkommt es mich: „I'm here for Security", sage ich mit ernster Stimme und werfe einen vielsagenden Blick hinüber zu den übrigen Besuchern, von denen leider keiner bedrohlicher aussieht, als mein alter Erdkundelehrer in seinem Cordjacket: „If things get ugly, you can count on me.“

Der Guide guckt mich an wie ein Bus ohne Licht und weiß offenbar nicht, was er sagen soll. Ich auch nicht, und so schweige ich, was die Wirkung noch erhöht.

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Der Guide beginnt mit der Tour, aber sein französischer Akzent ist so stark, dass nur sein Landsmann mit der Umzugs-BMW ihn ohne Schwierigkeiten verstehen dürfte. Kurz darauf sind die beiden in ein angeregtes Gespräch auf Französisch vertieft. Der Tag wird immer besser.

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Den Rest der Führung halte ich mich auffällig unauffällig im Hintergrund und klopfe von Zeit zu Zeit mit dem Selfie Schlagstock in die offene Hand. Ich hab vielleicht 'ne Meise, das ist mir selbst klar, aber selten hat eine Kirchenführung mehr Spaß gemacht.

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Die Rückseite der Stabkirche ist frisch geteert und pechschwarz, anders als die Vorderseite mit dem honigfarbenen Holz. Kaum zu fassen, dass die Kirche hoch oben über dem Fjord hier schon seit 900 Jahren steht. Urnes hat Ragnar und Lagertha Lothbrok noch live erlebt.

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Ich sattele die Honda und tuckere langsam den Berg hinunter. Eine schmale Straße, die FV5637 führt 30 km am Fjord entlang, auf der einen Seite Wasser und auf der anderen Felsen.

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Die Straße ist furchtbar schmal. Plötzlich ein Mercedes Vito von vorn. Wir schrammen nur gerade so eben haarscharf aneinander vorbei. Der Außenspiegel erwischt mich um Haaresbreite nicht. Schöner wäre es, mein Metall­becher hätte seinen Lack erwischt, aber dafür hängt er leider auf der falschen Seite.

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Am Ende der Straße liegt Skjolden. Hier wollen wir unser Zelt aufschlagen. Ich fahre durch die offene Schranke den Kiesweg hinunter zur Rezeption. Links und rechts sitzen Holländer vor ihren Wohn­wagen.

Bolstad Camping könnte dringend etwas frische Farbe vertragen, aber die Zeltwiese ist prima und darauf kommt es an. Sanitär ist mir egal, ich bin schließlich nicht zum Duschen hier, sondern zum Schlafen.

Im Fenster steht OPEN, aber wetten, dass die Tür verschlossen ist? Ich rüttele an der lahmen Klinke, die halb in den Seilen hängt und bin kein bisschen überrascht, dass die Tür abgeschlossen ist. RING HERE.

Ich klingele und kurz darauf schließt ein freundlicher alter Norweger die Tür auf und wir checken ein: „One Tent, one Motorbike, one Person, one Mouse für one Night, please.“

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Sowie wir eingecheckt haben, stelle ich das Zelt auf. Die Wiese ist groß und völlig leer. Die Wohnmobile stehen wie eine Wagenburg vorne in der Zufahrt. Die meisten Menschen lieben die Nähe der Herde, aber wir nicht. Wir mögen es abgeschieden und haben die Zeltwiese ganz für uns.

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Inzwischen ist es warm geworden. Ich starte die Honda und fahre ins Dorf zum Einkaufen. In Skjolden gibt es einen kleinen COOP Supermarkt. Der Laden ist gerammelt voll. Eine Gruppe amerikanischer Studenten deckt sich mit Abendessen ein. Gerade stehen sie vorm Regal mit Köttbullar: „Brian, look what they've got. It's like meatballs with brown sauce.“

Für Pieps und mich gibt es einen Räucherfisch und ein großes Stück Käse. Dazu zwei Bier für mich und eine Schokolade für Pieps.

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Mit einer Plastiktüte voll Lebensmittel düsen wir hochzufrieden zurück ins Camp. Von der Wagenburg schallt leise Country Music zu uns herüber, und auch wenn ich es niemals zugeben würde, ich liebe Country Music, Willy Nelson, Loretta Lynn, Garth Brooks und all die anderen.

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Das war ein erstklassiger Fahrtag, auch wenn heute kein Schotter dabei war, doch schon der fehlende Regen, die Fähre nach Ornes und die alte Stabkirche Urnes mit dem französischen Guide haben den Tag zu etwas Besonderem gemacht.

Doch für heute reicht es: „Gute Nacht, Welt.“




zum nächsten Tag...

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Svenja Svendura EndurowandernMade by Svenja Svendura on Apple iMac with Panic Coda and Photoshop Elements.