Inhaltsverzeichnis Frankreich 2025 Tag 1-3 Kiel - Wingen-sur-Moder (F) Tag 4 Wingen-sur-Moder - Bannes Tag 5-6 Hautoreille - Le Paroy Tag 7-8 Morvan - Auvergne Tag 9 Gorges de la Dordogne Tag 10 Gorges de la Dordogne II Tag 11 In den Gärten von Limeuil Tag 12 Lot Flusskilometer Null
An den Lot
Es ist Himmelfahrt und dazu noch ein Donnerstag.
Wir müssen schon am Vormittag einkaufen, weil später die Läden dicht machen.
Außerdem brauchen wir Glück, überhaupt einen freien Zeltplatz zu finden, weil am Freitag sämtliche Faulpelze einen Brückentag nehmen. Homeoffice alleine genügt denen nicht.
Ich lenke die Honda vom Campingplatz auf die Straße und auf die Brücken über Dordogne und Vézère nach Limeuil. Unsere Route läuft nah am Fluss und bietet einen tollen Ausblick nach dem anderen.
Nach einer Stunde und 28 Kilometern stelle ich das Motorrad neben den Waschmaschinen des Intermarché Super in Lalinde ab.
Wir brauchen etwas zum Abendessen, etwas, dem ein langer Tag in der Sonne bei 33 °C nichts ausmacht, etwas, das nicht so schnell verdirbt. Obst und Gemüse scheiden aus, die vertragen keine Hitze und werden welk.
Ich besorge uns einen frischen Lachs und ein knuspriges Baguette. Davon werden wir beide satt.
Den Lachs verstaue ich im Tankrucksack, das Baguette klemme ich hinten ins Gepäck.
Der letzte Ort bevor wir die Dordogne verlassen ist Bergerac, laut Wikipedia Sitz der Unterpräfektur des Arrondissements Bergerac, das aus 14 Kantonen besteht, und Hauptort der Kantone Bergerac-1 und Bergerac-2 ist.
Man fragt sich, was man mit solchen Informationen anfangen soll? Wen interessiert so'n Shice, außer vielleicht die Bürgermeister der 14 Kantone, und die wissen das vermutlich ohnehin schon?
Ich steuere die Honda über die malerische Brücke Vieux Pont und werfe einen letzten Blick auf die Dordogne, bevor ich nach Süden abbiege in Richtung auf den Lot, das Hauptthema unserer Flussreise.
Die Ortschaften sind die reinsten Geisterdörfer.
Der Auspuff der Honda bollert durch Echo verstärkt durch leere Gassen und ich frage mich, ob hinter den vielen geschlossenen Fensterläden überhaupt Leute wohnen.
Das frage ich mich in Frankreich oft, aber vermutlich halten sie die Läden nur wegen der Hitze tagsüber geschlossen.
In Tonneins, das ich ständig als Tonne Eins lese, fahre ich auf der Brücke einmal hin und her über die Garonne, den Fluss, in den der Lot mündet.
Auf der Mitte halte ich kurz an und mache ein Foto.
Sämtliche Straßen sind verlassen.
Die Stadt brütet dumpf in der Sonne.
Die Confluence des Lot in die Garonne liegt zehn Kilometer stromaufwärts.
Ich ziehe die Kupplung der Honda, die so leichtgängig ist, dass man meint, das Kupplungsseil sei gerissen - ist es aber nicht - und lege den Gang ein: Klack! Ich brauche dringend Fahrtwind.
In Nicole, dem nächsten Ort an der Garonne stromaufwärts, stehen am Straßenrand auf einmal viele Autos kreuz und quer abgeparkt. Auf einem Grundstück hinterm Zaun stehen Buden und Stände. Da ist Flohmarkt!
Pieps und ich lieben Flohmärkte.
„Wegen des skurrilen Trödels und mannigfaltiger antiker Schätze?“ „Wegen was? Blödsinn! Wegen der Wurstbuden natürlich. Trödel “
Ich suche eine Lücke fürs Motorrad und schlendere über das Gelände.
Private Verkäufer bieten auf mehr oder weniger wackeligen Tischen ihre Ware an.
Von Spielzeug über Kleidung bis zum Ölgemälde ist alles dabei, doch keine Profihändler, keine Neuware, keine bunten China-Gadgets in Blisterpackungen. Ein echter Flohmarkt. Komplett mit Grillstand.
Über den Platz weht der betörende Duft von Angebranntem auf Holzkohle.
Eine Großfamlie hält den gesamten Grillstand engagiert unter Dampf.
Die Mama nimmt Bestellungen auf,
Vater steht am Zapfhahn und die Kinder räumen dreckige Pappteller weg.
Am Grillrost steht die Teenage Tochter und wendet Bratwürste, aus denen heißer Käse quillt.
Die sind erstaunlich dunkel, genau, wie wir sie mögen: Angebrannt, aber nicht verkohlt, dunkel, aber nicht schwarz.
Solche will ich. Pieps auch.
Und das Drama beginnt.
Die Würste stehen nicht einzeln auf der Karte, sondern immer in Verbindung mit einem Essen, sogenannten Beilagen, aber die will ich nicht.
Pieps und ich wollen nur Würste mit ohne was dazu.
Wir sind nicht für Beilagen. Wenn ich Brot und Salat essen will, geh ich zum Veganer. Will ich aber nicht.
Leider versteht uns keiner. Mein Französisch reicht nicht aus für eine Bestellung mit ohne was dazu, und deren Englisch ist nicht vorhanden.
Nach kurzer Zeit haben wir alle in Arbeit gebracht, jeder möchte helfen: „Was will die nur?“
Schließlich mischt sich eine junge arabische Frau ein. Sie spricht Englisch.
Ein Seufzer der Erleichterung geht durch die Menge.
Allgemeine Freude, als endlich klar ist, was wir wollen und wir nicht länger den ganzen Betrieb aufhalten. Wir bekommen sogar drei Würste für 2 Euro. Extrapreis.
Die Bratwürste schmecken köstlich, sind grob, mit Käse gefüllt und intensiv gewürzt mit Knoblauch, Rosmarin und allerlei Unbekanntem. Selbst wenn ich die Urlaubseuphorie abziehe, könnte dies die beste Grillwurst sein, die ich je gegessen habe.
Wenige Kilometer hinter Nicole beginnt offiziell unsere Flussreise am Lot.
Der amtliche Startpunkt ist Flusskilometer Null, die Confluence mit der Garonne, doch nicht zum ersten Mal stelle ich fest, dass Flussmündungen mitunter schwierig zu erreichen sind.
Ich fahre über einen Schotterweg bis es nur noch zu Fuß weitergeht.
Schwitzend aste ich über den Acker, bis auch da Ende ist.
Bei Google Maps sah alles ganz einfach aus.
Die Mittagshitze und die Motorradsachen tun ihr Übriges: Ich verliere das Interesse und fahre weiter.
Wenn man Frankreich für sich allein haben möchte, braucht man bloß zur Mittagszeit unterwegs zu sein. Zwischen 12 und 2 ist es gespenstisch still: Heruntergelassene Rollläden, geschlossene Geschäfte, kein Autoverkehr, nur Hunde, Katzen und Zikaden sind zu hören.
Solange ich in Bewegung bleibe, macht mir die Wärme nichts aus. Dafür haben wir die Uferstraße am Lot ganz für uns.
In Casseneuil geht es nicht weiter. Wir haben uns zwar nicht verfahren, aber Kurviger routet uns entgegen der Einbahnstraße. Ich will das einen Moment beobachten und dann entscheiden, ob ich einen anderen Weg suchen muss oder einfach durchfahren kann.
Ich parke das Motorrad auf dem Dorfplatz, ziehe die Jacke aus und trinke etwas Wasser. An einer Mauer liegt ein alter Herr in der prallen Sonne und scheint unter seinem Strohhut zu schlafen. Wenigstens hoffe ich, dass er bloß schläft, aber kurz zuvor hatte er noch gewunken.
Aus der Einbahnstraße kam nun längere Zeit kein Auto. Wir fahren durch.
Der nächste große Ort ist Villeneuve-sur-Lot mit etwa 22.000 Einwohnern. Im Grunde wollen wir nur durchfahren auf dem Weg zu unserem Camp, aber ich möchte zumindest noch über zwei Lotbrücken in der Stadt fahren und mir den Fluss von oben ansehen.
Die erste ist die Pont des Cieutat, eine mittelalterliche Straßenbrücke von 1643. Unglaublich, wie haltbar mittelalterliche Bauwerke sind. Noch heute ist Pont des Cieutat als Straßenbrücke in Betrieb.
Über die Pont de la Libération rolle ich zurück ans Nordufer.
Diese ist erst hundert Jahre alt. Ein Neubau sozusagen.
Das Camp, von dem ich hoffe, dass wir trotz all der Brückentags-Faulpelze noch einen Platz bekommen, ist das Camp Municipal von St-Sylvestre, der Gemeindecampingplatz des Ortes.
Camp Municipal werden von der Mairie betrieben. Gemeindearbeiter, also öffentlich Bedienstete kümmern sich ums Waschhaus, mähen den Rasen und sammeln das Geld ein.
Viele Dörfer in Frankreich unterhalten einen eigenen Campingplatz.
Sie bieten Durchreisenden eine einfache und günstige Übernachtungsmöglichkeit und beleben den Tourismus im Ort.
Die Camps sind oft sehr schön gelegen, weil die Gemeinde dafür eigene Flächen nutzen kann, am Fluss oder am See. Für Motorradfahrer sind sie ein regelrechter Geheimtipp.
Hoffentlich kriegen wir einen Platz.
Der Gemeindecampingplatz von Saint-Sylvestre-sur-Lot liegt am Flussufer und die Zufahrt ist etwas ungewöhnlich: Man muss über den Kundenparkplatz vom Intermarché fahren, vorbei an den Tanksäulen für Diesel und Benzin, und gerade wenn man glaubt, sich verfahren zu haben, steht da ein Schild CAMPING.
Ich lasse die Honda vor der Rezeption ausrollen, nehme den Helm ab und stiefele zum Empfang.
Ein Mann von etwa 40 Jahren sitzt hinter einem Schreibtisch und sieht mir erwartungsvoll entgegen.
Wie sich herausstellt, wurde der Platz an private Pächter vergeben, an Jerome und seine Frau. Bis vor sechs Wochen waren beide noch Lehrer an einer öffentlichen Schule. Jerome hat Englisch unterrichtet.
Wir haben großes Glück: Für genau eine Nacht ist noch Platz im Camp. Übers Wochenende soll ein Künstlercamp stattfinden mit allerlei Artisten und Schaustellern. Dann sind sie komplett ausgebucht, aber für heute Nacht dürfen wir bleiben.
„Do you have a place for us without sun, just shade, please?“ „No sun? You're sure? There is one. Down by the river.“
Ich zahle 11,73 Euro inklusive 23 Cent Kurtaxe und tuckere mit dem Helm überm Arm langsam durchs Camp zu unserer Parzelle:
Hinter einer Hecke im Schatten großer Bäume mit Blick auf den Lot.
Besser geht es nicht.
Das ist die schönste von allen!
Ich stelle unser Zelt so hin, dass wir vom Bett auf den Lot gucken können.
Gegenüber liegt die Capitainerie, die Hafenmeisterei von Penne d'Agenais. Meine Güte, ist das schön hier.
Zum Abendessen brate ich Lachs.
Er passt gerade so in die Bratpfanne und schmeckt köstlich.
Den Tag im Tankrucksack hat er gut überstanden.
Lachs ist unser Lieblingsfisch. Und Hering, natürlich.
Pieps und ich sind glücklich, wie man nur sein kann.
Ich sitze noch lange mit Blick auf den Fluss, als eine gewisse Maus bereits völlig erledigt an unserem Kissen horcht.
Der erste Tag unserer Flussreise am Lot war ein Erfolg, auch wenn ich die Confluence nicht gesehen habe. Morgen fahren wir weiter flussaufwärts, bis wir in ein paar Tagen die Quelle erreichen.
Gute Nacht, Welt